Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
Park gehen!« Sie beugte sich vor und kippte ihrer Freundin noch einen gewaltigen Schuss Wodka ins Glas. »Sollte verboten sein, so was.«
Logan fuhr herum. »Wie meinen Sie das – ›Er will das Kind immer noch sehen‹?«
»Ich lass ihn ja nicht mal in die Nähe von meinem kleinen Rittersmann kommen.« Miss Erskine hob das Glas mit einer fahrigen Bewegung an die Lippen und schüttete ungefähr die Hälfte des Inhalts in einem Zug in sich hinein. »Klar, er schickt ständig kleine Geschenke und Karten und Briefe, aber ich schmeiße alles immer gleich in den Müll.«
»Sie haben uns gesagt, der Vater sei tot.«
Miss Erskine sah ihn verdutzt an. »Nein, hab ich nicht.«
»Wär aber auch kein großer Verlust, wenn er tot wär. Taugen tut er ja eh nichts«, steuerte die Nachbarin mit selbstgefälliger Geste bei. Und mit einem Mal war Logan klar, was hier passiert war. Constable Watson hatte ihm gesagt, der Vater sei tot, weil ihr die ungenießbare alte Hexe von nebenan genau das erzählt hatte.
»Verstehe«, sagte er gedehnt und in bemüht neutralem Tonfall. »Und ist der Vater darüber informiert worden, dass Richard vermisst wird?« Es war das zweite Mal innerhalb einer Stunde, dass er diese Frage stellte. Er wusste schon, wie die Antwort lauten würde.
»Das geht ihn ’nen Scheißdreck an!«, keifte die Nachbarin, wobei sie ihre ganzen beträchtlichen Giftreserven in ihre Stimme legte. »Er hat seine ganzen verdammten Rechte verwirkt, als er sich geweigert hat, das Kind anzuerkennen. Das muss man sich mal vorstellen – lässt den armen Jungen als Bastard durchs Leben gehen! Aber ist ja auch egal, das Schwein weiß bestimmt längst Bescheid …« Sie deutete auf die aufgeschlagene Sun , die auf dem Teppich lag. Die reißerische Schlagzeile lautete: » Perverser Kinderschänder schlägt wieder zu !«
Logan schloss die Augen und holte tief Luft. Der verbitterte alte Drachen ging ihm allmählich gehörig auf die Nerven. »Sie müssen mir den Namen von Richards Vater sagen, Mrs. … Miss Erskine.«
»Ich wüsste nicht, wieso!« Die Nachbarin sprang auf. Jetzt spielte sie die edle Beschützerin, die sich heldenhaft vor die arme beschwipste Gans dort auf der Couch stellte. »Das geht Sie verdammt noch mal nichts an, was hier abläuft!«
Logan fuhr sie an: »Setzen Sie sich hin und halten Sie die Klappe!«
Sie glotzte ihn mit offenem Mund an. »Sie … so können Sie mit mir nicht reden!«
»Wenn Sie jetzt nicht still sind, lasse ich Sie aufs Revier bringen und hänge Ihnen ein Verfahren wegen uneidlicher Falschaussage an. Verstanden?«
Sie setzte sich und war still.
»Miss Erskine, ich muss den Namen wissen.«
Richards Mutter trank ihren Wodka aus und stand schwankend auf. Sie torkelte einen Schritt nach links und stakste dann in die entgegengesetzte Richtung los: zum Sideboard, wo sie in einem der unteren Schrankfächer zu wühlen begann und Papierfetzen und kleine Schachteln auf dem Boden verstreute.
»Hier!«, rief sie schließlich triumphierend und hielt eine Mappe aus Büttenpapier mit goldener Zierborte hoch. Eine von der Sorte, wie man sie bekam, wenn man in der Schule fürs Jahrbuch fotografiert wurde. Sie warf sie beinahe nach Logan.
Er schlug die Mappe auf und fand das Porträt eines Jungen, der nicht viel älter als vierzehn sein konnte. Er hatte buschige Augenbrauen und schielte ein wenig, doch die Ähnlichkeit mit dem vermissten Fünfjährigen war unverkennbar. In einer Ecke des Fotos waren über den blaugrau marmorierten Studiohintergrund in einer bemüht ordentlichen Kinderhandschrift die Worte geschrieben: »Für meinen Schatz Elisabeth. Ich werde dich lieben bis in alle Ewigkeit. Tausend Küsse – Dein Darren.« Ziemlich großspurige Behauptung für einen Burschen, der noch mitten in der Pubertät steckte.
»Er war Ihre Jugendliebe?«, fragte Logan, während er die braune Fotomappe umdrehte. Auf der Rückseite war ein goldener Aufkleber mit Name, Adresse und Telefonnummer des Fotografen, darüber ein weißes Feld, in dem stand: » Darren Caldwell. Achte Klasse, Ferryhill Academy .«
»Er war ein Arschloch!«, wiederholte die Freundin von nebenan, wobei sie jede Silbe genüsslich betonte.
»Wissen Sie, wo er wohnt?«
»Das Letzte, was ich von ihm gehört hab, ist, dass er die Koffer gepackt hat und nach Dundee gezogen ist. Ausgerechnet Dundee!« Die Nachbarin zündete sich noch einen Glimmstängel an. Sie saugte so heftig daran, dass die Spitze feuerrot glühte, und ließ dann den
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