Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
schon!«
Ungefähr anderthalb Minuten später verdunkelte ein Schatten die teilverglaste Haustür, und man hörte einen Schlüssel im Schloss klappern. Die Tür wurde einen Spalt breit geöffnet, und ein Gesicht schob sich in die Lücke.
»Hallo?«, sagte der Mann.
»Darren?«, fragte Logan.
Der Mann runzelte die Stirn, wobei sich über den Augen, die nicht ganz in dieselbe Richtung schauten, zwei dichte schwarze Brauen zusammenzogen. Darren Caldwell mochte etwas über fünf Jahre älter sein als der Bursche auf seinem Schulfoto, aber er hatte sich nicht allzu sehr verändert. Sein Unterkiefer wirkte ein wenig breiter, seine Haare sahen gestylt aus und nicht mehr so, als hätte Mama sie geschnitten, aber es war eindeutig ein und derselbe junge Mann.
»Ja?«, sagte Darren, worauf Logan der Tür plötzlich einen Stoß versetzte.
Der junge Mann taumelte ein paar Schritte rückwärts, stolperte über einen kleinen Beistelltisch und fiel der Länge nach hin. Logan und die Polizistin traten ein und machten die Tür hinter sich zu.
»Ts, ts.« Logan schüttelte den Kopf. »Sie sollten eine Kette an der Tür anbringen lassen, Mr. Caldwell. Das hilft, ungebetene Gäste abzuhalten. Man kann nie wissen, wer da draußen vor der Tür steht.«
Der junge Mann rappelte sich auf und ballte die Fäuste. »Wer sind Sie?«
»Sie haben ein entzückendes Häuschen, Mr. Caldwell«, meinte Logan und ließ die Polizistin zwischen sich und den Angesprochenen treten, um einem Ausbruch physischer Gewalt vorzubeugen. »Hätten Sie etwas dagegen, wenn wir uns mal ein bisschen umschauen?«
»Das dürfen Sie nicht!«
»O doch, das darf ich sehr wohl.« Logan zog den Durchsuchungsbeschluss aus der Tasche und schwenkte ihn vor Caldwells Gesicht. »Also, wo sollen wir anfangen?«
Drinnen war das Haus wesentlich kleiner, als es von außen wirkte. Zwei Schlafzimmer, eins davon fast ganz ausgefüllt mit einem Doppelbett mit einer gelblich grauen Häkeldecke darüber und einer Kommode, auf der mehrere Dosen Feuchtigkeitscreme herumstanden, das zweite mit einem Einzelbett an der einen und einem kleinen Computerarbeitsplatz an der anderen Wand. Auf einem Poster über dem Bett prangte eine spärlich bekleidete junge Frau mit Schmollmund. Wirklich sehr gewagt. Dusche und WC waren schmutzig grün gefliest und mit das Hässlichste, was Logan seit langem zu Gesicht bekommen hatte, und die Küche war gerade mal so groß, dass sie alle drei darin stehen konnten, wenn sie sich nicht allzu viel bewegten. Das Wohnzimmer wurde fast ganz von einem Breitbildfernseher und einem riesigen, hellgrünen Sofa eingenommen.
Von dem vermissten fünfjährigen Jungen war weit und breit nichts zu sehen.
»Wo ist er?«, fragte Logan, während er in den Schränken herumwühlte und Dosen mit Bohnen, Suppe und Thunfisch herauszog.
Darren blickte nach links und nach rechts – und das beinahe gleichzeitig. »Wo ist wer?«, fragte er schließlich.
Logan seufzte und schlug die Schranktüren zu.
»Das wissen Sie ganz genau, Darren. Wo ist Richard Erskine? Ihr Sohn. Was haben Sie mit ihm gemacht?«
»Nichts hab ich mit ihm gemacht. Ich habe ihn seit Monaten nicht mehr gesehen.« Er ließ den Kopf hängen. »Sie lässt mich ja nicht.«
»Sie sind gesehen worden, Darren. Zeugen haben Ihren Wagen beobachtet.« Logan versuchte einen Blick aus dem Küchenfenster zu werfen, doch er konnte nur sein Spiegelbild erkennen, das ihn von der Scheibe anstarrte.
»Ich …« Darren schniefte. »Ich bin da öfter vorbeigefahren. Dachte, ich würde ihn vielleicht mal sehen, draußen beim Spielen oder so. Aber sie hat ihn ja nie rausgelassen. Sie lässt ihn nicht so sein wie die anderen Kinder.«
Logan knipste den Lichtschalter aus und tauchte damit die Küche in völlige Dunkelheit. Jetzt, da das Licht die Scheibe nicht mehr in einen Spiegel verwandelte, konnte er in den Garten hinter dem Haus sehen. Er bemerkte die beiden Polizisten, denen er befohlen hatte, die Rückseite zu sichern; zitternd standen sie im kalten Nieselregen. In einer Ecke des Grundstücks war ein Schuppen zu erkennen.
Lächelnd schaltete er das Licht wieder ein. Alle kniffen die Augen zusammen.
»Was soll das?«
»Kommen Sie«, sagte er und packte Darren am Kragen, »lassen Sie uns mal einen Blick in den Schuppen werfen.«
Aber Richard Erskine war nicht im Schuppen. Bloß ein Rasenmäher, ein paar Schaufeln, ein Sack Dünger und eine Gartenschere.
»Scheibenkleister.«
Sie standen im Wohnzimmer und tranken
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