Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
ganz richtig im Kopf war. Er roch komisch. Da war doch was faul.
Also, was war denn schon dabei, wenn man ihn mal ein bisschen aufmischte? Sie hatten ja gar nicht so weit gehen wollen. Aber es wurden schließlich Kinder vermisst! Verstehen Sie: Kinder! Kinder wie die, die in die Garthdee-Grundschule gingen. Kinder wie ihre eigenen. Wenn die Polizei eher gekommen wäre, dann wäre die Sache nie so eskaliert. Wären sie nur gekommen, als sie gerufen wurden, dann wäre das alles nie passiert.
Also, wenn man sich’s recht überlegte, war eigentlich die Polizei an allem schuld.
Der Mann, der im Vernehmungsraum auf der anderen Seite des Tisches saß, hatte schon bessere Tage erlebt. Zum Beispiel den gestrigen. Da hatte Logan Bernard Duncan Philips alias Roadkill das letzte Mal gesehen. Auch da hatte er schon ziemlich abgerissen gewirkt, aber wenigstens hatte seine Nase nicht ausgesehen, als hätte jemand sie mit einem Vorschlaghammer bearbeitet. In seinem Gesicht blühten bereits zahlreiche Blutergüsse auf, und ein Auge war ganz zugeschwollen, die Haut des Lids entzündet und lila verfärbt. Sein Bart war auf der einen Seite sauber und stand in Spitzen ab – hier hatte das Krankenhauspersonal das getrocknete Blut abgewaschen. Seine Unterlippe war dick wie eine Bratwurst, und jedes Mal, wenn er lächelte – was jedoch nicht oft vorkam –, zuckte er vor Schmerz zusammen.
Die Anschuldigungen, die von den »besorgten Eltern« gegen ihn vorgebracht wurden, waren zu ernst, als dass man sie hätte ignorieren können. Und so hatte er sich, kaum aus der Notaufnahme entlassen, in Polizeigewahrsam wiedergefunden. Außerdem entsprach er dem von der Lothian and Borders Police erstellten Profil: weiß, männlich, Mitte zwanzig, psychische Probleme, niedere Tätigkeit, keine Freundin, lebt allein. Der einzige Irrtum war die Behauptung, der Täter müsse unter Lernschwierigkeiten leiden. Roadkill hatte einen Uni-Abschluss in mittelalterlicher Geschichte. Aber, wie Insch bemerkte, genützt hatte ihm der offensichtlich herzlich wenig.
Es war eine lange, schwierige und verworrene Vernehmung gewesen. Jedes Mal, wenn es so ausgesehen hatte, als könnten sie Roadkill endlich eine einigermaßen zusammenhängende Aussage entlocken, war er wieder in eine neue, völlig unvorhergesehene Richtung abgeschweift. Und dabei schaukelte er unaufhörlich ganz leicht mit dem Oberkörper vor und zurück. Da Roadkill als psychisch gestört galt, hatten sie eine »geeignete erwachsene Person« hinzuziehen müssen, damit gewährleistet war, dass alles korrekt ablief. Daher musste die ganze Zeit ein Sozialarbeiter von Craiginches Prison neben Roadkill sitzen, während er schaukelte und abschweifte und roch.
Im Vernehmungsraum stank es zum Gotterbarmen. Eau de Cadavre und Achselschweiß Pour Homme . Roadkill brauchte wirklich ganz, ganz dringend ein Bad. DI Insch hatte die erste Gelegenheit genutzt, um sich aus dem Staub zu machen, und hatte Logan und den Sozialarbeiter ihrem Schicksal überlassen, während er Roadkills wirre Aussage überprüfen ging.
Logan rutschte auf seinem Stuhl hin und her und fragte sich schon zum x-ten Mal, wo der Inspector nur abgeblieben war. »Möchten Sie noch eine Tasse Tee, Bernard?«, fragte er.
Bernard gab keine Antwort, sondern faltete weiter das Stück Papier zusammen, das er in der Hand hielt. Faltete es wieder und wieder. Und als er es so oft gefaltet hatte, dass nur noch ein kleines festes Klümpchen übrig war, das sich nicht weiter falten ließ, faltete er es sorgfältig wieder auseinander und fing noch einmal von vorne an.
»Tee? Bernard? Möchten Sie noch etwas Tee?«
Falt, falt, falt.
Logan sank auf seinem Stuhl zusammen und legte den Kopf in den Nacken, bis er zur Decke hinaufstarrte. Schmutzig graue Deckenfliesen, die pockennarbige Sorte. Die, die so aussahen wie die Oberfläche des Mondes. Mein Gott, war das langweilig! Und es war schon fast sechs! Er war doch mit Constable Watson auf einen gemütlichen Drink verabredet!
Falt, falt, falt.
Logan und der Sozialarbeiter lästerten ein wenig über die jüngsten Leistungen des FC Aberdeen, ehe sie wieder in düsteres Schweigen verfielen.
Falt, falt, falt.
Achtzehn Uhr dreiundzwanzig. Der Inspector steckte den Kopf zur Tür herein und bat Logan, zu ihm auf den Flur zu kommen.
»Haben Sie etwas aus ihm rausbekommen?«, fragte Insch, als sie beide draußen vor der Tür standen.
»Nur einen ziemlich üblen Geruch.«
Insch steckte sich eine Fruchtpastille
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