Die dunklen Wasser von Aberdeen: Roman (German Edition)
Rücken Flecken von dunklerem Grau auf.
»Sir«, sagte Logan, bemüht, jeglichen Blickkontakt zu vermeiden.
»Sie wollen, dass ich das Märchenspiel aufgebe.« Seine Stimme war leise und tonlos.
Das schlechte Gewissen überschwemmte Logan, bis er sich vorkam, als hätte er ein großes blinkendes Schild auf dem Kopf, auf dem stand: » Ich war’s! Ich bin an allem schuld! «
»Der Polizeipräsident ist der Ansicht, dass so etwas für das Bild, das die Grampian Police der Öffentlichkeit vermitteln will, nicht förderlich ist. Er sagt, wir können uns diese negative Publicity im Zusammenhang mit einer so bedeutenden Mordermittlung nicht leisten … Entweder ich verzichte auf das Märchenspiel, oder er verzichtet auf mich.« Er sah aus, als hätte ihm jemand den Stöpsel rausgezogen. Von Minute zu Minute schien er mehr in sich zusammenzusinken. Das war nicht der DI Insch, den Logan kannte. Und das war alles seine Schuld. »Wie lange mache ich jetzt schon beim Märchenspiel mit? Zwölf, dreizehn Jahre? Und in all der Zeit gab es nie das geringste Problem damit …«
»Vielleicht vergessen die da oben es ja wieder?«, versuchte Logan ihn aufzumuntern. »Ich meine, wenn Gras über die Sache gewachsen ist. Nächstes Jahr um die Zeit denkt bestimmt kein Mensch mehr daran.«
Insch nickte, doch er schien nicht überzeugt. »Mag sein.« Er hob die fleischigen Hände und knetete sein Gesicht mit kreisförmigen Bewegungen. »Mein Gott, ich werde Annie sagen müssen, dass ich heute Abend nicht auftreten kann.«
»Es tut mir Leid, Sir.«
Insch versuchte tapfer zu lächeln. »Das muss es doch nicht, Logan. Ist ja nicht Ihre Schuld. Das habe ich nur diesem Arsch von Colin Miller zu verdanken.« Das erzwungene Lächeln ging nahtlos in eine erboste Grimasse über. »Wenn Sie ihn das nächste Mal sehen, sagen Sie ihm, ich reiß ihm den Kopf ab und scheiß ihm in den Hals.«
Im Leichenschauhaus war alles still, bis auf das leise Summen der Klimaanlage. Alle Leichen waren ordentlich weggeräumt, die Sektionstische standen leer und blitzblank geputzt im Schein der Deckenbeleuchtung. Aber nicht nur die Toten waren verschwunden, es war auch weit und breit kein lebender Mensch zu sehen.
Mit zögernden Schritten näherte sich Logan der Wand mit den Kühlboxen. Auf der Suche nach George Stephenson las er die Namen ab, die auf kleinen Kärtchen an den Türen der Fächer standen. Er hielt inne, als er die Box mit der Aufschrift » Unbekannte weibliche Kinderleiche, ca. 4 Jahre alt « erreichte, eine Hand auf dem kühlen Metall des Griffs. Da drin lag das arme kleine Ding, kalt und tot, und hatte noch nicht einmal einen Namen.
»Tut mir Leid, Kleine.« Etwas Besseres wollte ihm nicht einfallen.
Er arbeitete sich weiter die Reihe entlang. Nirgendwo stand etwas von einem George Stephenson, allerdings war da ein » Unbekannter männlicher Weisser, ca. 35 Jahre .« DI Steel hatte der Gerichtsmedizin noch nicht gesagt, dass sie den Toten identifiziert hatten. Noch ein Job, der an Logan hängen blieb. Er entriegelte das Fach und zog die Bahre heraus.
Auf der flachen Stahlfläche lag eine kräftige Gestalt, in einen Leichensack aus weißem Plastik gehüllt. Logan biss die Zähne zusammen und zog am Reißverschluss.
Der Kopf und die Schultern, die unter dem Plastik zum Vorschein kamen, waren mit denen auf dem Foto an der Wand von Logans Büro identisch. Nur dass das Original ein bisschen zerknitterter aussah, als ob jemand die Gesichtshaut abgeschält hätte, um den Schädel mit einer Knochensäge öffnen und das Gehirn entnehmen zu können. Die Haut war wächsern und bleich, bis auf die dunkelviolett verfärbten Stellen, wo das Blut sich nach Eintritt des Todes gesammelt hatte und geronnen war. Und da war auch ein Bluterguss an der linken Schläfe. Auf dem Foto hatte Logan ihn immer für einen Schatten gehalten.
Die Hauptattraktion war immer noch verhüllt.
Er zog den Reißverschluss ganz auf und legte einen Körper frei, der zum Zeitpunkt des Todes seine besten Jahre schon hinter sich gehabt hatte. Laut Aussage der Edinburgher Kollegen war Geordie in seiner Jugend ein Fitness-Fanatiker gewesen. Jemand, der großen Wert auf sein Äußeres legte. Der Mann auf der Bahre hatte einen Bierbauch, und an seinen massigen Armen und Schultern war mehr Fett als Muskelgewebe. Auch ohne die Blässe des Todes wäre seine Hautfarbe ein teigiges Weiß gewesen, gesprenkelt mit Leberflecken und einem leichten scharlachroten Ausschlag.
Und dann die
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