Die dunklen Wasser von Arcachon
vor einem Jahr mal eine Meldung, dass Minister Lacombe seinen Urlaub in Arcachon abgebrochen hat. Weißt du noch, was damals dahintersteckte?«
»Siehst du, Antoine«, antwortete sie, und er stellte sie sich vor, wie sie dasaß und ihren großen Mund zu einem spöttischen Grinsen verzog, »da zeigt sich doch, wie sehr du hinter dem Mond lebst in deiner Normandie. Wärst du hier in Paris, dann wüsstest du längst, dass der Herr Minister eine kleine Geliebte hat im schönen Arcachon.«
»Aber das ist doch selbst für dich keine Meldung, Melanie! Jeder zweite unserer vornehmen Minister hat irgendwo eine Geliebte sitzen.«
»Das stimmt schon«, sagte die Kollegin, »aber wenn die Geliebte schwanger wird und Ärger macht und die Ehefrau davon Wind bekommt, dann wird schnell eine hübsche kleine Geschichte daraus, findest du nicht?«
Sie verblieben mit dem gegenseitigen Versprechen, bei Kirchners nächstem Aufenthalt in Paris zum Essen auszugehen.
Dann stöberte Kirchner weiter im Material, das ihm Berthe Fichier geschickt hatte.
Er fand Protokolle von Sitzungen der Nautilus -Gruppe, kurze Zeitungsberichte über Treffen und Festlichkeiten. Die Texte vertieften sein Wissen um die Zusammenhänge, und vor allem bekam er jetzt eine deutlichere Vorstellung von der Struktur des Geschäfts.
Im Grunde hatten sich die Betreiber eine verzweigte Holding gebastelt, offenkundig, um von Beginn an alle Steuervorteile mitzunehmen, die zu erreichen waren. Das Mutterunternehmen mit Namen Nautilus Properties Ltd. hatte seinen Sitz nicht in Frankreich, sondern in Andorra. Für jeden Geschäftszweig des geplanten Hotel- und Amüsierbetriebs waren eigene Tochterunternehmen als sogenannte Entwicklungsgesellschaften gegründet worden, die teils in Arcachon selbst, teils in Bordeaux und Paris, teils wiederum selbst in Steueroasen beheimatet waren. Kirchner fand Verweise auf Liechtenstein, auf die Isle of Man, auf den US-Bundesstaat Delaware, Briefkastenfirmen mit Fantasienamen, nur gegründet, um Gelder zu verschieben und künftige Gewinne zu verstecken.
Kirchner verstand kaum die Hälfte dessen, was er las.
Das Nautilus -Mutterhaus in Andorra verfügte über ein Stammkapital von 18,5 Millionen Euro, die aus dunklen Quellen stammten, aus »Zuwendungen« und »Schenkungen«. Der Standort Andorra verpflichtete offenkundig nicht zu exakter Buchführung oder gar Offenlegung. Die Nautilus -Finanzströme flossen hinter dem blickdichten Schleier eines sorgsam gewahrten Bankgeheimnisses, der sich nur ab und an einen Spalt breit öffnete. So fand Kirchner eine Pressemitteilung des Tennisausrüsters France Cup , der mitteilte, in naher Zukunft eine halbe Million Euro in die Entwicklung der Nautilus -Sportanlagen investieren zu wollen. Er fand einen Bericht über die Bilanzpressekonferenz des franko-belgischen Betonmultis Claasen-Berthod , der gewichtige, noch unbezifferte Investitionen in Arcachon in Aussicht stellte. Die in Paris ansässige Beratungsfirma Publiprivé hatte sich zum stolzen Preis von 4,8 Millionen Euro als Nautilus -Top-Sponsor eingekauft, und dieser Fund amüsierte Kirchner sehr. Denn Publiprivé gehörte der für ihre mondänen Aids-Galas im ganzen Land bekannten Ministergattin Florentine Fleurice.
Wie klein die Welt doch ist , dachte Kirchner.
So verschachtelt die Unternehmensteile waren, so verwoben waren die Akteure miteinander. Der alte Decayeux wurde als haftender Geschäftsführer des Mutterunternehmens in Andorra geführt, er stand an der Spitze der Pyramide und strich mit Sicherheit schon jetzt eine fürstliche Entlohnung ein. Für die vielen Nautilus -Töchter standen mal Pariser Minister, mal anonyme Großunternehmer ein, als Vorstandschefs oder Eigentümer, als Hauptanteilsnehmer oder Geschäftsführer. Die Beteiligten versprachen sich ganz offenkundig den ganz großen Reibach, sobald das gigantische Projekt im Becken von Arcachon wirklich vom Stapel laufen würde. Verteidigungsminister Fleurice saß nicht nur in einem, sondern gleich in mehreren Aufsichtsräten von Tochterunternehmen, der älteste Sohn von Finanzminister Lacombe wurde als europäischer Subventionsberater auf einer Liste geführt, die Lebensgefährtin der Menschenrechtsbeauftragten Trousseau arbeitete als Koordinatorin für juristische Beratungsdienstleistungen direkt dem Oberboss Decayeux zu.
Sie haben sich ein schönes Netzwerk eingerichtet, dachte Kirchner, eine Hand wäscht die andere, und eine Hand steckt der anderen immer ein paar Scheine zu.
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