Die dunklen Wasser von Arcachon
bis sie in einem großen schwarzen Peugeot 807 verschwand, und blies wütend den Rauch in die milchige Seeluft. Dann machte er auf dem Absatz kehrt, ging zurück in die Bar des Sports und setzte sich lustlos zum Essen.
Er aß einen lieblos hingepfuschten Salat aus grünem Spargel und das ordentliche Rindskotelett von der Tageskarte, bestellte sich zum Abschluss ein Stück Roquefort, dessen cremige Salzigkeit ihn über die Zumutungen der vergangenen Stunde ein wenig hinwegtröstete, und spülte – weil die meisten Käse nach Weißwein verlangen, nicht zu trocken – mit einem Glas Sancerre nach.
Die junge Frau war nicht nur eine wichtige Zeugin der Republik. Sie war auch eine wichtige Zeugin für ihn.
Er rief Pelleton an und sagte, als er seinen hektischen Chef mitten im Redaktionsschluss am Apparat hatte: »Henri, ich brauche den Obduktionsbericht. Habt ihr etwas erreicht?«
Pelleton sagte nur, ein Kollege arbeite daran, habe aber »noch keine Gefangenen gemacht«.
***
Unschlüssig, wo er die nächsten Stunden mit sich hinsollte, fuhr Kirchner ins Hotel zurück. Auf der Strecke hielt er nur einmal kurz an, um sich in einem G20-Supermarkt ein Paket Wasserflaschen zu kaufen. Dann kehrte er in sein Zimmer im Splendid zurück, stellte den Blackberry-Wecker auf fünfzehn Uhr, legte sich aufs knarrende Bett und schlief bald ein, während sich in seinen halbwachen Gedanken die tausendundeins Informationen verkreuzten, die er seit zwei Tagen nun schon in sich aufgesogen hatte wie ein Schwamm.
Ein Anruf schreckte ihn aus dem leichten Schlaf schon um Viertel vor drei hoch. Er hoffte, Evelyne würde sich melden, aber es war der alte Moreau. Er wollte wissen, wie das Treffen mit der Friseurin verlaufen war. Kirchner erzählte ihm, was passiert war.
»Geheimpolizei?«, fragte Moreau ungläubig, »mein Gott, wo sind wir nur hineingeraten?«
Kirchner sagte, er müsse wissen, was es mit Evelynes Geschichte auf sich habe, sonst komme er nicht weiter. Moreau sagte, er verstehe, aber das Beste wäre doch, er würde ihren Bruder treffen, seinen Schwiegersohn Guillaume, der heute aber in Bordeaux auf einer Fischereitechnik-Messe sei.
»Ich könnte nach Bordeaux fahren«, sagte Kirchner.
»Nein, nein, das ist nicht nötig. Die jungen Leute kommen heute Abend alle zu mir. Meine Tochter wird kochen, und wenn Sie wollen, können Sie gerne dazukommen.«
Die Aussicht auf den Abend beruhigte Kirchner. Sein Ärger über das geplatzte Treffen mit Evelyne war während des kurzen Mittagsschlafs verflogen, er machte wieder Pläne für sein weiteres Vorgehen. Er öffnete die Fenster seines Hotelzimmers weit, ließ die kühle Meerbrise herein und setzte sich mit dem Laptop auf dem Schoß ins Bett.
Berthe Fichier, die Archivarin von Le Monde , hatte ihm zwei umfangreiche Dossiers in Sachen Nautilus und Lacombe geschickt, wie immer verblieb sie in ihrem Anschreiben mit einem »Hochachtungsvoll«, obwohl sie Kirchner schon seit vielen Jahren kannte und sich beide duzten. Wie immer hatte sie ihr Material klug und ironisch kommentiert, und insbesondere wies sie in ihrer E-Mail auf eine Klatschmeldung vom vergangenen Jahr hin, die in Madame Figaro erschienen war. In ihr hieß es leichthin, im üblichen Ton der Frauenblätter, die Familie Lacombe habe ihren diesjährigen Arcachon-Urlaub leider vorzeitig abbrechen müssen, »weil die Regierungsgeschäfte Monsieur Lacombes Anwesenheit in Paris erforderten«.
Derlei Meldungen hatten, in Pariser Frauenmagazinen veröffentlicht, immer Gewicht. Die Klatschreporter gehörten zum Inventar der Republik, sie machten viel mehr Politik, als es den Anschein hatte, und wenn sie meinten, die Abreise eines Ministers aus dem Urlaub sei wichtig genug für eine Meldung, dann steckte immer mehr dahinter, als letztlich schwarz auf weiß zu lesen war.
Kirchner rief deshalb seine Kollegin Melanie de Maistre an, die die Tratsch-Abteilung bei Madame Figaro leitete und eine immer gut gelaunte, bissige Frau war. Als Kirchner sie erreichte, saß sie gerade in einem Nagelstudio irgendwo im dritten Arrondissement von Paris und ließ sich maniküren.
»Antoine«, sagte sie, »was für eine angenehme Überraschung. Wann sehen wir dich denn einmal wieder, hier in Paris?«
Kirchner tauschte ein paar Freundlichkeiten mit ihr aus, lobte sie für eine Geschichte, die sie ein paar Wochen zuvor über den Ansturm neureicher Inder bei den Pariser Juwelieren geschrieben hatte, und kam dann zum Punkt: »Sag mal, Melanie, ihr hattet
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