Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
Vom Netzwerk:
Dufaut sah zunächst ihn an, dann seine Frau und zuletzt Decayeux, der ihm mit einer Geste und seiner Mimik zu verstehen gab, dass es besser sei zu reden.
    »Ich bin angekommen«, sagte er und setzte nahtlos an seine Worte von vor ein paar Minuten an, »und hab an die Tür gehämmert, so«, sagte er und machte die Geste mit beiden Fäusten vor.
    »Waren da keine Sicherheitsleute?«, fragte Kirchner.
    »Na, und ob da Sicherheitsleute waren, aber wir kannten uns ja alle längst. Lacombes persönlicher Leibwächter hat an meinem dreißigsten Geburtstag Lieder zur Gitarre gesungen, wir sind gute Kumpel. Die haben gedacht, ich bin auch eingeladen, wie immer.«
    Kirchner nickte. »Und weiter?«
    »Erst passierte lange gar nichts. Dann stand so ein fetter Heini in der Tür, mit einer Blondine am Hals. Er war besoffen oder sonst was, er lachte jedenfalls hysterisch, und dann sagte er: ›Wir kaufen nichts.‹«
    »Wer war der Heini?«, hakte Kirchner ein.
    »Na, das war der Dings … Fleurice war das, der Verteidigungsminister.«
    »Und wie ging es weiter?«, fragte Kirchner.
    Guillaume war ein Mensch, den man mit Fragen unterstützen musste.
    »Ich hab gesagt: ›Ich bin hier, um meine Schwester abzuholen.‹«
    »Und dann?«
    »Na, darauf hat der Typ nur noch lauter gelacht, der hat sich überhaupt nicht mehr eingekriegt. Er hat sich umgedreht und ins Haus gerufen: ›Hey, hallo, alle mal herhören, hier steht ein Bruder! Er will eins von euch Fickmäuschen abholen‹, hat er gesagt, ›Fickmäuschen‹, und da hab ich ihm eins in die Schnauze gegeben, direkt auf die Zwölf, weil immerhin war da ja auch meine Schwester drin.«
    »Bist du reingegangen ins Haus?«, fragte Kirchner. Er wechselte zum Du, unwillkürlich, aus Instinkt.
    »Nee, ich bin draußen stehen geblieben. Es kamen ja auch alle zur Tür gestürzt, auch die Leibwächter, und alle haben sich um den Minister gekümmert. Da war übrigens auch der mit den Pockennarben dabei, der für den Sport zuständig ist.«
    »Creuzet«, sagte Kirchner.
    »Genau, Creuzet«, sagte Guillaume. »Der andere, Fleurice, der hat aus der Nase geblutet und gejammert und dauernd ›Scheiße‹ gesagt, ›so eine Scheiße‹, hat er gesagt, ›was will denn dieser Affe von mir‹. Na ja, damit meinte er mich.«
    »Und Evelyne?«
    »Evelyne ist mir entgegengerannt, sie hat Rotz und Wasser geheult, sie war obenrum halb ausgezogen und hielt sich ihre Jacke vor die Brust, so …«, sagte Guillaume und machte vor, wie seine Schwester sich bedeckt hatte. »Ich hätte denen am liebsten die Hütte über dem Kopf angesteckt. Ich hab geschrien, dass ich die Polizei hole und so und dass Lacombe sein blaues Wunder erleben werde, dass er damit nicht durchkommt. Aber Evelyne hat immer nur gesagt, ›ich will hier fort, Guillaume‹, hat sie gesagt, ›bitte bring mich hier weg‹, und das hab ich natürlich gemacht. Wir sind zum Auto gegangen, und sie hat gesagt, sie möchte gern zu Hause schlafen, also nicht bei sich, sondern bei unseren Eltern, ›bei Mama‹, hat sie gesagt.«
    Kirchner saß jetzt auf einer Geschichte, die die Regierung in Paris zu Fall bringen konnte, wenn er es richtig anstellte. Der Verteidigungs-, der Sport- und der Finanzminister feiern Sex-Partys in Arcachon, dazu der Präfekt aus Bordeaux, und wer weiß, wer noch dabei war – es war der Stoff, aus dem Regierungskrisen sind, eine ungeheuerliche Anklage, die im politischen Paris ein Erdbeben verursachen und das ganze Land aufwühlen würde. Hier ging es nicht um billige, hergeholte Schlagzeilen, sondern ums Ganze.
    Guillaume, Nadine und Decayeux an diesem Tisch hier mochten sich nur vage darüber im Klaren sein, welchen Sprengstoff sie gerade auslegten. Für sie waren die Geschichten Teil ihres eigenen Lebens. Sie ahnten vielleicht, dass das, was ihnen widerfahren war, irgendwie die Politik und die Republik betraf und sogar ihren Kern berührte.
    Kirchner aber saß da im vollen Bewusstsein, dass hier eine Sache verhandelt wurde, die Frankreich in eine tiefe Krise stürzen würde, und zwar genau in dem Moment, in dem Le Monde mit seiner Geschichte herauskommen würde. Sehr wahrscheinlich schon in der Samstagsausgabe, die am frühen Nachmittag des Freitags in Druck ginge, oder einen Tag später, es spielte keine Rolle.
    Die Vorfälle erschütterten Kirchner auch persönlich. Er mochte ein wenig abgestumpft sein, lebenssatt, wie ihn das Reporterleben gemacht hatte, aber das hier übertraf doch bei Weitem alles, womit er

Weitere Kostenlose Bücher