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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
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innenpolitisch je zu tun gehabt hatte.
    Es war ein widerwärtiges Amalgam aus Interessen und Leidenschaften, aus Geldgier und Verkommenheit, das den Verdruss über den Pariser Politikbetrieb furchtbar anfeuern würde. Das Verhalten dieser mächtigen Herren war widerlich, sie waren besoffen von der Luft ganz oben, geldgierig noch dazu und ungeeignet für ihre Ämter an der Staatsspitze.
    Nun ging es darum, sie auszunüchtern und vom Gipfel zu verjagen.
    Kirchner freute sich aufs Schreiben. Er würde einfach funktionieren, wie immer, sein Sprachhirn würde ihm eingeben, wie die Sache in Schriftform zu bringen war, er würde sie kühl und nüchtern fertigmachen, Mann für Mann, er hatte die Aussicht auf einen sagenhaften Aufmacher, auf einen »kill«, wie Pelleton in solchen Fällen theatralisch zu sagen pflegte.
    Es fehlte noch Lacombes Tod, der nun fast schon zurücktrat hinter die Schilderungen der dekadenten Feste von Le Canon. Sie allein waren bereits so ungeheuerlich, dass sich Telenovelas daraus hätten stricken lassen. Aber andererseits war der tote Finanzminister doch der größte Skandal, das schockierendste Detail dieser Geschichte.
    Um das Gespräch voranzutreiben – denn in seinem Hinterkopf tauchte schon der Gedanke an den Redaktionsschluss auf –, sagte Kirchner: »Ich habe heute den Obduktionsbericht über Lacombe gelesen.«
    Damit rüttelte er die drei Figuren am Tisch wieder wach, die nach der Anstrengung des Erzählens und des Wiederheraufholens schmerzlicher Erfahrungen vorübergehend erschöpft eingesunken waren. Sie sahen sich an, ein wenig panisch. Jetzt ging es um sie, um den Kern ihrer Geschichte. Sie fragten erst gar nicht, was im Obduktionsbericht stand, woraus Kirchner schloss, dass sie seinen Inhalt ohnehin viel besser kannten.
    »Also«, sagte Kirchner, »was ist passiert?«
    »Es war ein Unfall«, sagte der junge Decayeux. Mit diesem Satz hatte er Stunden zuvor schon einmal zu reden angefangen. »Wir wollten Lacombe einen Schuss vor den Bug setzen, und zwar einen, den er nicht mehr vergisst und dass er weiß, dass er seine Spielchen mit uns nicht treiben kann.«
    »Wer ist ›wir‹?«, fragte Kirchner.
    »Na ja, wir hier«, antwortete Decayeux.
    »Sie auch?«, fragte Kirchner, an Nadine Dufaut gewandt.
    Sie fing wieder an, leise zu weinen, nickte aber stumm.
    »Am Dienstag, also vorgestern, gab es einen Umtrunk bei meinem Vater im Rathaus«, sagte Decayeux. »Wissen Sie, mir fällt das sehr schwer, ich …«, sagte er. »Ich weiß gar nicht, wie ich es sagen soll …«
    Guillaume unterbrach ihn. »Sein Vater war einer von denen in Le Canon.«
    Kirchner ließ sich in seinem Stuhl zurückfallen, pfiff Luft durch die Lippen und sah ungläubig in die Runde.
    »Lacombe hat ihn eingewickelt«, sagte Decayeux, um seinen Vater zu verteidigen. »Er hat sich sehr verändert in den vergangenen Jahren. Wissen Sie, er hatte so Dollarzeichen in den Augen, es geht ja auch um irre viel Geld hier, irgendetwas ist da mit ihm passiert.«
    »Und weiter?«
    »Am Dienstag gab es also diesen Umtrunk«, fuhr Decayeux fort, »und wir haben uns verabredet, Lacombe eins auszuwischen, aber richtig, wie gesagt. Wir wollten ihn an Bord holen, mit ihm rausfahren und ihm da draußen ein bisschen Angst machen. Das war alles, mehr wollten wir gar nicht, oder, Nadine?«
    Die Tochter des alten, ehrenwerten Moreau schämte sich, sie zierte sich zu reden.
    »Wir sind zu weit gegangen«, sagte sie schließlich.
    »Was ist geschehen?«
    »Zuerst klappte alles nach Plan«, sagte sie. »Nach der Feier im Rathaus haben wir, also Deca und ich – Guillaume war erst nicht dabei, denn das Verhältnis der beiden war … na ja … seit Le Canon ziemlich gespannt –, also wir haben zu Lacombe gesagt: ›Komm, Julien, es ist noch nicht spät, wir trinken ein letztes Glas irgendwo‹, und weil Lacombe hier in Arcachon ja immer irgendwie im Urlaub ist, also war, hat er gesagt: ›Na gut, eines geht noch, aber dann muss ich mal wieder zu meiner Frau nach Hause.‹«
    Nadine machte eine Pause.
    »Weiter, Nadine«, sagte Kirchner.
    »Wir haben uns im L’Océ an auf die Promenade gesetzt. Spätabends holt man sich da seine Getränke selber vom Tresen. Das hat Deca gemacht, und ins Glas von Lacombe hat er so K.o.-Tropfen gemischt, die haben wir im Internet bestellt, ganz einfach, auf der Flasche stand, dass sie nach einer halben Stunde wirken.«
    Kirchner hörte zu. Es wurde eine kleine, schäbige Geschichte um Liebe und Rache. Kein

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