Die dunklen Wasser von Arcachon
Wirtschaftskrimi, es ist am Ende doch immer das Gleiche , dachte er.
»Die wirkten aber schon nach einer Viertelstunde«, sagte der junge Decayeux, »Lacombe wurde es auf einmal komisch, hat er selber gesagt, und wir haben ihm angeboten, ihn nach Hause zu bringen, und da hatte er gar nichts dagegen. In Nadines Auto schlief er dann ein, genau wie wir es uns gedacht hatten.«
Sie fuhren in eine dunkle Ecke von Gujan-Mestras, vorne am Wasser, in den sumpfigen Teil. Dort legten sie den Minister in den Kofferraum, um nicht mit ihm im Auto gesehen zu werden oder womöglich in eine Verkehrskontrolle zu geraten.
»Dann sind wir zum Hafen gefahren«, sagte Nadine, »wo Guillaume auf dem Boot schon gewartet hat.«
Kirchner nickte. Er schaute Guillaume an, dann Nadine, dann wieder Decayeux. Er holte tief Luft und nickte zum Zeichen, dass er beeindruckt war.
»Unser Plan war ganz einfach«, sagte Decayeux. »Guillaume würde auf seiner Falcon mit Lacombe an Bord vorausfahren und ich auf meiner Josette dicht hinterher. Wir wussten ja, dass die meisten anderen Kapitäne zu Hause bleiben würden, weil für den frühen Morgen Sturmwarnung ausgegeben war. Uns war das egal, wir können in allen Wassern fahren, wissen Sie. Also, wir sind drei Seemeilen vor Cap Ferret direkt rein in den Golf, da ist eine kleine Untiefe, die wir Fischer alle kennen, ein höllisch gefährliches Ding. Im weiten Umkreis sind da Warnbojen ausgeworfen, und genau dort sollte Guillaume Lacombe, mit Weste und allem Drum und Dran, ins Wasser schmeißen, dicht bei den Bojen, wo er sich festhalten konnte. Der hätte gar nicht gewusst, wie und warum er dorthin geraten ist. Und ich wäre dann vorbeigekommen und hätte ihn aufgenommen, als sein Retter sozusagen.«
»Ein Wahnsinnsplan«, sagte Kirchner. »Ihr habt riskiert, dass Lacombe dabei draufgeht.«
»Es kam ja auch anders«, schaltete sich Guillaume ein. »Die See war schon zu bewegt, wir hatten Windstärke sechs, dann bläst es da draußen schon ganz schön, und bei dem Seegang hätten wir ihn wirklich nicht wieder rausgekriegt.«
»Also?«
»Also haben wir uns über Funk verständigt, die Sache abzublasen.«
Es entstand eine Pause, in der die beiden Männer den Blick von Nadine suchten, die mit sich haderte und nicht aufschauen wollte.
Erst nach ein paar Minuten entschloss sie sich, endlich weiterzureden. »Ja, ja, ja«, sagte sie, als wolle sie die Blicke ihrer beiden Komplizen abwehren, »es ist alles meine Schuld. Ich war es, die die Sache nicht so einfach beenden wollte. Ich meine, dieses Schwein durfte nicht einfach so davonkommen, einfach so. Wissen Sie, was er Evelyne an dem Abend in Le Canon noch hinterhergeschrien hat? Das hat noch gar keiner erzählt, bis jetzt. Er ist zur Tür gerannt, nackt, wie er war, schweißüberströmt, und hat Evelyne hinterhergeschrien, dass es ein Jammer wäre, wenn sie ein Kind bekäme, denn hinterher wäre sie nicht mehr so schön eng, das hat er ihr hinterhergeschrien, dieses widerliche Schwein.«
Kirchner machte ein angeekeltes Gesicht. »Das ist wirklich übel.«
»Und ob das übel ist«, sagte Nadine.
»Was ist denn mit dem Kind?«, fragte Kirchner.
»Ach«, sagte Nadine, »Evelyne hat es verloren.«
»Verloren?«
»Sie hatte eine Fehlgeburt, nicht lange nach der Party in Le Canon. Allein dafür musste Lacombe eine Abreibung bekommen. Ein bisschen Gerechtigkeit.«
Die Gerechtigkeit hatte so ausgesehen, dass Nadine Guillaume dazu überredete, Lacombe doch noch, fast wie geplant, in eine Schwimmweste zu binden und ihn wenigstens an einem Tau eine Weile lang durchs Wasser zu ziehen. Und sie hatte außerdem die Idee, ihm dabei einen Sack über den Kopf zu ziehen, sodass er richtig Todesangst bekommen würde.
Es war ein Exzess, dachte Kirchner.
Die brave Tochter und ihr braver Ehemann hatten sich in ein sadistisches Fest hineingesteigert, sie entdeckten Seiten an sich, die sie bis dahin nicht gekannt hatten, sie machten Bekanntschaft mit den dunklen Flecken ihrer Seele.
»So haben wir es gemacht«, sagte Guillaume. Er sprang jetzt seiner Frau zur Seite, sprach vom »wir«, obwohl er nur der Mitläufer war. »Es war gar nicht so leicht«, erzählte Guillaume weiter, »den bewusstlosen Lacombe in die Weste und ans Seil zu bekommen.«
Als sie ihn endlich verpackt hatten, erwachte Lacombe und schrie, aber da hatte er schon, wie ein in früheren Zeiten und raueren Weltgegenden zum Tode Verurteilter, den Sack über dem Kopf, und es war für ihn zu spät.
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