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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
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    ARCACHON. Sportminister Jean-Marie Creuzet und die bezaubernde Andernosienne Evelyne Dufaut werden sich heute in der Sommerstadt das Jawort geben. Das junge Paar wird in Notre-Dame des Passes vor den Altar treten, um von Weihbischof Gambais den Segen zu erbitten, die standesamtliche Trauung wird im Rathaus von Gujan-Mestras vollzogen. Für geladene Gäste wird der Tag mit einem festlichen Galadiner im Chez Janine zu Ende gehen, wo Sternekoch Pierre Lasserre die Hochzeitsgesellschaft mit seinen Kreationen verwöhnen wird.
    Kirchner saß wie vom Donner gerührt. Er verstand einen Moment lang überhaupt nichts mehr, versuchte, den Aufruhr seiner Gedanken zu dämpfen und sich irgendwie neu zu sortieren. Hier, auf dieser Bank an der Promenade, musste er sich mit der unangenehmen, aber ziemlich unabweisbaren Wahrheit anfreunden, dass die Version der Ereignisse, die ihm am Vorabend auf Moreaus Terrasse so detailreich wie überzeugend aufgetischt worden war, immer weiter in sich zusammenfiel.
    Dass Evelyne nicht mit am Tisch gesessen hatte, hatte er sich bislang damit erklärt, dass die anderen drei – vor allem ihr Bruder – sie heraushalten, schützen wollten. Das wäre logisch gewesen, es erschien ihm jedenfalls leicht nachvollziehbar.
    Was aber wäre, wenn sie Evelyne aus ganz anderen Gründen von ihm fernhalten wollten? Wenn sie sie nicht schützen, sondern ausgrenzen wollten? Tatsächlich kannte er Evelynes Geschichte ja gar nicht, jedenfalls nicht aus erster Hand. Wer wusste, was sie wirklich zu erzählen hatte?
    Er erinnerte sich jetzt auch an den spöttischen Kommentar seiner Kollegin Melanie de Maistre von Madame Figaro . Hatte sie nicht davon geredet, dass die Geliebte schwanger wird und Ärger macht und die Ehefrau davon Wind bekommt? Damit war Evelyne gemeint. Was hatte sie nach der Nacht von Le Canon aufgeführt? Und mit welchen Folgen?
    Kirchner saß auf der Bank und zweifelte – vor allem an sich selbst.
    Plausibel muss nicht wahr sein , das war eines seiner eigenen zehn Gebote des Reporterlebens, das er auch den jungen Kollegen, die er unterrichtete, immer wieder einbläute. Er hatte ein Zitat des deutschen Dichters Kleist im Kopf, nach dem »die Wahrheit nicht immer auf Seiten der Wahrscheinlichkeit steht«. Er selbst, der Grand Reporter, hatte sich die ganze Zeit nur auf die Schlüssigkeit dessen verlassen, was ihm zu Ohren gekommen war. Er hatte grobe Fehler gemacht, die ihn schmerzten.
    Noch etwas stieß Kirchner jetzt übel auf: Es mochte ja sein, dass Le Monde und er die Allerersten waren, die den Obduktionsbericht über Lacombe in Händen gehalten hatten. Mittlerweile musste das Dossier aber die Runde gemacht haben, sehr wahrscheinlich hatte der Innenminister sogar persönlich seine eigene Kopie, und sie widerlegte ganz eindeutig die Version von der Leiche, die zufällig im Fischernetz gelandet war. Und doch hatten, allem Anschein nach, weder Guillaume noch Nadine noch Decayeux bislang Besuch von der Polizei gehabt.
    Sie müssten doch längst in U-Haft sitzen , dachte Kirchner.
    Er wählte die Nummer von Chez Janine . Es kam ihm nun zugute, dass er sich mit Lasserre, dem Koch, nach seinem ersten Abendessen in Arcachon noch eine ganze Weile unterhalten hatte. Das Gespräch, das mit der Frage nach dem Koriander am Fischragout begann, hatte sich noch länger hingezogen. Der Profikoch und er, der begeisterte Amateur, hatten gefachsimpelt über Kräuter und ihre Kombinationen. Die Liebe zum Essen und zum Kochen hatte sie jedenfalls gleich verbunden, und sie waren im Gefühl auseinandergegangen, im anderen einen Gleichgesinnten gefunden zu haben, einen neuen Freund womöglich. Sie schieden jedenfalls voneinander mit dem gegenseitigen Versprechen, in Verbindung zu bleiben, und Kirchner hatte den Koch zu seinem jährlichen Herbstfest in die Normandie eingeladen.
    »Pierre, so schnell kann’s gehen«, begann Kirchner das Gespräch. »Ich bin schon wieder in der Stadt. Ich weiß, dass Sie heute diese große Hochzeit ausrichten, ich will auch nicht weiter stören. Aber könnten Sie womöglich noch eine helfende Hand in der Küche gebrauchen? Ich müsste mich bei diesem Fest unbedingt einschleusen, das ist sehr wichtig für mich.«
    Der Koch sah kein Problem, im Gegenteil. »Mir ist ein Lehrling ausgefallen, ich hätte überhaupt nichts dagegen, wenn mir hier noch einer beim Gemüseschneiden hilft. Sie müssen nur von hinten ran ans Haus. Die Straße vorne ist dicht, als wäre die Queen hier. Und wenn

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