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Die dunklen Wasser von Arcachon

Die dunklen Wasser von Arcachon

Titel: Die dunklen Wasser von Arcachon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Tanner
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Material immer bei sich, immer. Selbst als er beim alten Moreau auf der Terrasse gesessen hatte, suchte er mit dem Fuß ab und an, unwillkürlich, mechanisch, seinen kleinen schwarzen Eastpak -Rucksack mit dem Lederboden, in dem er seine Kladden und den Laptop stets herumtrug.
    Die Aktion hier, diese kleine Razzia, machte ihm nur klar, dass seine Zeit in Arcachon abgelaufen war.
    Er sammelte seine Sachen zusammen, stopfte die Reisetasche voll, checkte beim Nachtportier des Splendid eilig aus und verließ Arcachon, wie er es betreten hatte, über den Boulevard Deganne stadtauswärts.

VIII.
    A m Freitagmorgen um neun Uhr telefonierte Kirchner mit einem erwartungsfrohen Henri Pelleton.
    Kirchner war nicht weit gekommen, in der Nacht seiner Abreise aus Arcachon, die immerhin auch eine kleine Flucht vor der Staatsmacht war. Die Müdigkeit und die Trunkenheit hatten ihn bald zum Anhalten gezwungen, auf der Autobahn A 630, dem Stadtring um Bordeaux, hatte er ein Automaten-Motel gefunden, in dem er sich wenigstens vier Stunden lang in einem kahlen Raum auf einem anonymen Bett ausstrecken konnte.
    Jetzt, nach zwei Tassen Kaffee, die er in der Bar einer Tankstelle getrunken hatte, war er einigermaßen wiederhergestellt.
    Er erzählte Pelleton die Geschichte in sehr groben Zügen, der darüber allen Humor verlor und sehr ernst wurde. Sein Chef verstand sofort, was auf dem Spiel stand.
    »Es führt wohl kein Weg daran vorbei«, sagte Kirchner, »dass ich nach Paris komme. Ich setze mich jetzt hier in den TGV, und wenn ich da bin, besprechen wir alles Weitere. Bis dann, Henri, es ist eine üble Geschichte.«
    Missmutig stellte Kirchner seinen Wagen in ein Parkhaus. Er würde ihn wieder abholen müssen, aber dafür würde er sich mit einem Essen im St. James in Bouliac bei Bordeaux belohnen, das zwei Sterne im roten Michelin hielt.
    Er hätte es im Auto niemals so schnell nach Paris geschafft wie mit dem Zug, ein Flugzeug ging zu dieser Stunde nicht.
    Er wollte den TGV 8524 nehmen, der Bordeaux St. Jean um halb zehn verlassen würde, um vierzehn Uhr zwanzig würde er in Montparnasse sein – glatt zwei, drei Stunden früher, als wenn er selbst gefahren wäre. Vom Bahnhof dort war es nicht weit bis ins 13. Arrondissement zum Boulevard Blanqui, wo der neue weiße Quader des Redaktionshauses stand, in dem die Zentrale von Le Monde neuerdings residierte.
***
    Kirchner kaufte sich ein Ticket erster Klasse. Als er in seinem Abteil angekommen war, klemmte er seinen Rucksack zwischen sich und die Armlehne, und schon als der Zug leise gleitend losfuhr, hörte er die Durchsagen nur noch wie von ferne, so wie man Kinderlärm hört, wenn man an einem heißen Strand in der Sonne einschlummert.
    Zwei Stunden später wachte er mit einem schmerzenden Nacken auf. Er hatte nun die sechs Stunden Schlaf zusammen, die er für gewöhnlich brauchte.
    Er nahm seine Kladde und ging die Notizen durch, stellte den Laptop auf das Klapptischchen vor sich und las am Bildschirm noch einmal den Obduktionsbericht. Kirchner hatte ihn in Arcachon, auf seinem Hotelzimmer, nur schnell überflogen, er hatte Absätze übersprungen, seinen Blick gewissermaßen unscharf gestellt, um rasch die wesentlichen Punkte zu erkennen, nun las er genauer – und hätte kurz darauf am liebsten die Notbremse des Zuges gezogen, um die rasende Fahrt abzubrechen und schnellstmöglich nach Arcachon zurückzukehren.
    Auf Seite sechs des Berichts stand ein Absatz, den Kirchner übersehen, den er nicht wahrgenommen hatte bei der ersten Lektüre. Dort stand, zu seinem Entsetzen, dass der Schädel des Toten im Bereich der linken Schläfe ein Loch aufweise, das »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch das Abfeuern einer großkalibrigen Schusswaffe aus nächster Nähe« entstanden sei.
    Kirchner sprang auf wie von einer Tarantel gestochen, es hielt ihn nicht mehr auf dem Sitz, ziellos ging er mit schnellen Schritten auf und ab. Er hätte am liebsten an einem der Sitze gerüttelt, um die Energie seiner Wut loszuwerden.
    Nach ein paar Minuten setzte er sich wieder vor seinen Rechner, klickte sich hektisch durch die Seiten. Er hatte doch eindeutig vom »Tod durch Herzversagen« gelesen, aber als er die Stelle wiederfand, stand dort tatsächlich nur zu lesen, dass auch ein Tod durch Herzversagen nicht auszuschließen sei. Die Aussage bezog sich auf den Grad der Kopfverletzung, die an anderer Stelle erörtert worden war. Die Pathologen hatten lediglich offengelassen, ob die

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