Die dunklen Wasser von Arcachon
Nadines Stimme, die gut gelaunt sagte: »Hallihallo, Sie haben Guillaume Dufaut nicht erreicht? Hinterlassen Sie eine Nachricht, wir freuen uns immer.«
Jetzt stand Kirchner wirklich auf dem Schlauch. Die Nummer des jungen Decayeux hatte er nicht, und auch die Auskunft kannte sie nicht. Dasselbe galt für Evelyne. Selbst im Internet fand er keine Spur ihrer Anschlüsse.
Es schien, als hätten ihm die Leute, die ihn gestern wohl nicht in Gänze, aber doch in wesentlichen Details angelogen hatten, gerade die Tür vor der Nase zugemacht. Doch es war seine eigene Schuld. Er hatte seine Chance gehabt, aber er hatte sie nicht genutzt, weil er einen verdammten Absatz des verdammten Obduktionsberichts nicht gelesen hatte.
Kirchner rauchte fahrig, mit heruntergelassenen Fensterscheiben. Er fuhr wieder hinein nach Arcachon. Was er brauchte, war ein Plan, und zwar schnell.
Es zog ihn zum Hafen, er improvisierte ohne Sinn.
Die Büros von Arcamer waren verrammelt, ein mildes Herbstwochenende hatte begonnen, alle Welt schien ausgeflogen zu sein.
Kirchner freute sich, als er wenigstens seine Freunde von der Elise wiedersah, den alten Fischer und seinen Enkel. Sie flickten schon wieder oder immer noch ihre Netze an Bord.
»Na«, sagte der Alte, »immer noch in der Gegend? Wie stehen die Aktien?«
»Könnte besser sein«, antwortete Kirchner. »Mir wär grade schon geholfen, wenn ich nur die Telefonnummer vom jungen Decayeux hätte. So klein sind die Probleme manchmal.«
»Decayeux? Der ist weit draußen aufm Wasser«, sagte der Alte. »Der ist heute auf die Nacht rausgefahren zu einer ziemlich großen Tour. Hatte Touristen aus Lyon an Bord, die wollten weit runter in den Süden, auf Schwertfische gehen, die gibt’s hier oben nicht, die gibt’s nur in wärmerem Wasser.«
»Kann man ihn denn nicht erreichen?«
»Ich wüsste nicht, wie«, antwortete der Alte. »Keine Ahnung, auf welcher Frequenz der funkt. Wenn er in Küstennähe fährt, hat er vielleicht auch ein Mobilnetz. Aber die Nummer? Hast du die?«, fragte er seinen Enkel.
Der schüttelte nur den Kopf.
Kirchner hob die Hand zum Gruß, dankte freundlich: »Ihr wart mir trotzdem eine große Hilfe, ihr zwei, vielen Dank dafür!«
Er drehte ab und fuhr mit dem Auto in die Stadt.
***
An der Promenade kaufte er sich die Lokalzeitung, Le Bassin Libre , ein dünnes Blättchen mit dicken Anzeigen schon auf der ersten Seite. Er setzte sich mit ihr auf eine Bank und blätterte darin, in der Hoffnung auf irgendeine nützliche Idee.
Die Zeit lief jetzt. Lacombe hatte Frau und Kinder hinterlassen, sein Tod würde bald öffentlich werden, so oder so. Dann würde sich Arcachon mit Kollegen aus dem ganzen Land füllen, die Kirchners exklusiven Auftritt und den großen scoop von Le Monde gefährdeten.
Rüstige Senioren mit Wanderstöcken spazierten an ihm vorbei, er sah Jogger am Strand, die Segelboote dahinter, und im Wasser vorne planschten noch immer Kinder, obwohl schon der Abend kam, zwielichtig und kühl.
Kirchner las die Lokalzeitung nur ungenau, unkonzentriert, er fand nichts, was sein Interesse weckte. Er stand auf, die Hände in den Hosentaschen, ging unschlüssig herum und kickte Steine mit dem Fuß vor sich her.
Hinten in der Stichstraße, die den Boulevard Deganne mit der Promenade verband, zwei Blocks entfernt, sah er jetzt Blaulichter vorbeistreichen. Eine Motorradstaffel fuhr einer Staatslimousine voraus, und Kirchner erinnerte sich an die spöttischen Geschichten von Pierre Bouchot, dem Meeresforscher. Die Pariser Eliten reisten wieder an zum week-end.
Das Schauspiel wiederholte sich in kurzem Abstand drei Mal, sodass Kirchner stutzig wurde.
Was war das für ein Auftrieb? Es ist keine Urlaubszeit, dachte Kirchner . Die Parlamentssaison in Paris ist in vollem Gange. Was wollen die alle hier?
Es schien ihm unwahrscheinlich, dass so viele Politiker, die das Anrecht auf großen Bahnhof mit Blaulicht und Motorrädern hatten, alle einfach so, zufällig nach Arcachon ins Wochenende fuhren. Es musste einen Grund dafür geben.
Er wollte eben zum Auto zurück, um den Staatskarossen vielleicht zu folgen, als sein Blick noch einmal auf die achtlos weggelegte Lokalzeitung fiel, die flatternd auf der Bank lag, auf der er eben noch gesessen hatte.
Jetzt endlich sah er, was er zuvor überlesen hatte. Traumhochzeit in Arcachon , es stand gleich auf der ersten Seite, links oben. Er las den Anlauf der Meldung – und musste sich setzen, denn er traute seinen Augen
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