Die Ecstasy-Affäre
sie in diesen Augenblicken auch sonst tun? »Hast du gefrühstückt?« fragte sie. Es klang ein wenig hilflos.
»Ja, danke. Und du?«
»Ich nicht. Du hast mich ja erst geweckt. Ich schlafe sonst bis elf. Heute war es besonders spät geworden in der Bar. Bis vier Uhr! Wir hatten Gäste aus Polen. Die können saufen bis zum Umfallen. Immer noch einen Wodka mehr. Salvatore hat sie dann mit zwei Taxis in ihr Hotel bringen lassen. Und jetzt bist du da.«
Sie ging in die Küche, und Robert hörte, wie sie mit dem Geschirr klapperte. Dann brutzelte etwas in der Pfanne. Spiegeleier, Robert roch es ganz deutlich, und dazu Speck oder Schinken. Er nahm seinen Rucksack vom Teppich und trug ihn zum Schlafzimmer hinüber. Ein breites Doppelbett mit einem blauen Tüllhimmel beherrschte den Raum. Eine ganze Wand bestand nur aus Spiegelschränken, in denen man sich, im Bett liegend, sehen konnte, und als Robert sich auf die Bettkante setzte, das zerwühlte, noch von ihrer Körperwärme vollgesogene Daunenplumeau zur Seite schob, stellte er sich vor, wie erregend der Anblick sein mußte, zwei Menschen beim Liebesspiel in dieser Spiegelwand zu beobachten.
Aber auch ein anderer Gedanke war da: Was hatte dieser Spiegel alles zurückgeworfen an Leidenschaft und Ekstase, an Zärtlichkeit und Erfüllung in all den Jahren, die Ulrike in diesem Bett gelegen hatte. Robert starrte sich im Spiegel an, warf sich auf den Rücken, streckte beide Beine hoch in die Luft und verfolgte dieses Spiel auf der großen glänzenden Fläche.
So bemerkte er erst nach einer Weile, daß Ulrike in der Tür stand und ihm zusah. Er setzte sich wieder auf und legte beide Hände auf seine Knie.
»Ja, so ist das!« sagte sie in provozierendem Ton. »Ich liebe Spiegel. Ich sehe mir gern selbst zu. Ich liebe meinen Körper. Ich könnte ihm dauernd zusehen, jede Bewegung betrachten, vom Heben des kleinen Fingers bis zum Berühren der Zehen. Vor einem Spiegel kann ich glücklich sein.«
»Auch zu zweit …«
»Auch das!« Sie nickte zum Wohnzimmer hin. »Das Frühstück ist fertig.«
Robert stemmte sich vom Bett hoch und ging ihr nach. Über den Glastisch hatte sie eine violette Decke gebreitet, und darauf standen Tassen, Teller, die Kaffeekanne, ein Tablett mit Spiegeleiern und Räucherspeck, zwei Gläser mit Orangensaft, eine Platte mit aufgeschnittener Wurst – Zungenwurst, Salami, geräucherte Mettwurst und einer Diätwurst aus Putenfleisch, dazu zwei geviertelte kalte Eier, sicherlich vom Vortag.
Robert setzte sich auf die Couch.
»Ich habe keinen Hunger«, sagte er gepreßt.
»Aber ich. Und was für einen! Doch eine Tasse Kaffee trinkst du doch mit?« Ulrike setzte sich ihm gegenüber, goß den Kaffee ein, gab ein Spiegelei auf ihren Teller und begann zu essen. Robert sah ihr stumm zu, und als sie das Brötchen gegessen hatte, fragte er:
»Wo kann ich meinen Rucksack auspacken?«
»Im Schlafzimmer. Hinter der Schranktür ganz rechts ist alles frei.«
»Für Gäste.« Es klang bitter.
Sie nickte und griff nach einer Scheibe Putenwurst. »Du hast es erraten. Ich glaube, es hängt noch ein Herrenbademantel darin. Schieb ihn zur Seite.«
»Ich werde ihn zerfetzen!«
»Wenn es dir Spaß macht! Ich weiß sowieso nicht, wer ihn dort vergessen hat. Der Mantel hängt schon lange da.«
Sie frühstückte weiter, als er ins Schlafzimmer zurückkehrte, seinen Rucksack aufschnürte, die Schranktür aufriß, den Bademantel zur Seite schleuderte und seine Sachen hineinhängte. Es war nicht viel, was ein Pfadfinder braucht: ein Trainingsanzug, Unterwäsche, Socken zum Wechseln, zwei Hemden, ein Paar Schuhe, eine Hose, eine Jacke, Rasierzeug, eine Haarbürste – und eine Mundharmonika. Da seine Mutter ihm beim Packen geholfen hatte, mußte Robert sie mitnehmen; sie gehörte zur Ausrüstung. Es war üblich, daß abends vor den Zelten und um das Lagerfeuer herum musiziert und gesungen wurde. Einige seiner Kameraden brachten Gitarren und Lauten mit, einer sogar eine Trommel, und es waren immer schöne Abende gewesen, mit fröhlicher Musik unter dem Nachthimmel.
Als Robert zurückkam, saß Ulrike weit zurückgelehnt im Sessel und rauchte eine Zigarette. »Jetzt ist dein Kaffee kalt«, sagte sie. »Ich hol' dir eine neue Tasse.«
»Nicht nötig.«
Sie blieb sitzen, blies den Rauch gegen die Decke und schloß für einen Moment die Augen. »Und wie soll es weitergehen?« fragte sie. Eine Antwort darauf wußte sie selbst nicht. Ich habe jetzt einen Jungen hier sitzen,
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