Die Edda - Die Edda
ankam, sprühende Laune und Blick für Menschenart. Der Lästerer selbst, Loki, dieser nordische Meister Pfriem, hatte schon die Gewißheit und Tücke des Alben, zu den Göttern stand er auf halb freundschaftlichem Fuß, ihm ließ sich auch zutrauen, daß er verbotene Liebesgunst erobert hatte. Aber so wie er in »Lokis Zankreden« dasteht, ist er unsres Dichters Kind. Auch für die übrigen sechzehn Köpfe brauchte es neben guter Mythenkenntnis eigene Erfindung. Doch sollte der Hörer an die Wahrheit der Schelten glauben: »Sie müssen es auf sich sitzen lassen!« Bei den Göttinnen versagt freilich die Abwechslung; man erfreue sich an dem Reichtum der Übergänge, dem kecken Einhaken der Antworten.
Mit dem Auftreten des polternden Thor gewinnt der Dichter eine prächtige Steigerung, zugleich einen runden Abschluß. Das Lästermaul muß vor die Tür - aber wie es noch dem Donnerer den Meister zeigt, darin frohlockt die Künstlersachlichkeit dieses Poeten: der Hörer mag nun, wie er will, Partei ergreifen.
Heusler
Götter und Göttinnen saßen beim Trunke in der Halle des Meerriesen Ägir; das war eine Friedensstätte, wo man sich an niemand vergreifen durfte. Nur Thor und Loki fehlten. Da kam Loki gegangen und traf vor der Tür den Koch des Riesen. Er redete ihn an:
1
Sag mir, Eldir,
eh du einen Schritt
setzest vorwärts den Fuß:
was führen hier innen
für Älgespräche
die Söhne der Sieggötter?
2 Eldir:
Von ihren Schwertern
und von Schlachtmut reden
die Söhne der Sieggötter;
die Asen und Alben,
die hier innen sind,
sprechen alle arg von dir.
3 Loki:
Eintreten will ich
in Ägirs Halle,
das Saalfest zu sehn;
Hohn und Haß
bring ich den hohen Göttern
und mische Bosheit ins Bier.
4 Eldir:
Wisse, wenn du eintrittst
in Ägirs Halle,
das Saalfest zu sehn,
spritzt Gift und Geifer
auf die Götter Loki,
an ihm wischt man’s ab.
5 Loki:
Wisse, Eldir,
willst im Wortstreite du
dich messen mit mir,
arm werd ich nicht
an Antworten sein,
wenn du schnell nicht
schweigst.
Darauf trat Loki in die Halle ein und sprach:
6
Durstig komm ich
zu dieser Halle
gar weiten Weg,
die Asen zu bitten,
ob mir einer des Mets
trefflichen Trank gebe.
7
Was verstummt ihr so,
stolze Götter?
Geruht zu reden doch!
Sitz und Stätte
gönnt im Saale mir
oder weiset mich weg!
8 Bragi:
Sitz und Stätte
werden im Saale nie
die Asen dir einräumen;
denn die Asen wissen,
wen sie von allen Wesen
zum Gelage laden sollen.
9 Loki:
Gedenke, Odin,
daß wir in alten Tagen
beide das Blut mischten!
Bier genießen
wolltest du nimmermehr,
wär’s nicht uns beiden ge-
bracht.
10 Odin:
Steh auf, Widar!
Heiß des Wolfs Vater
sich setzen im Saal!
Nie möge Loki
mit Lästerung begrüßen
die Asen im Ägirssaal.
Da stand Widar auf und schenkte Loki Bier ein; aber ehe dieser trank, entbot er den Asen den Gruß:
11
Heil euch, Asen!
Heil euch, Asinnen,
allen gnädigen Göttern -
außer dem einen Asen,
der dort innen sitzt,
Bragi, auf der Bank!
12 Bragi:
Ring und Roß
aus meinen Reichtümern,
ein Schwert dazu schenk ich
dir;
mit Unbill lohne
den Asen nimmer!
Reize die Rater nicht!
13 Loki:
Entbehren, Bragi,
wirst du beides stets,
Ringe wie Roß;
von den Asen und Alben,
die hier innen sind,
bist du der feigste im Gefecht
und der scheueste vorm Schuß.
14 Bragi:
Wisse, wär ich draußen,
statt daß drinnen ich
hier sitze im Saal,
dein Haupt hielte
in der Hand ich bald;
das wär deiner Lüge Lohn.
15 Loki:
Auf dem Sitz bist du tapfer,
doch die Tat wirst du meiden,
Bragi, du Bankzierde!
Komm zum Kampf,
wenn so kühn du bist!
Der Zaglose zaudert nicht.
16 Idun:
Ich bitte dich, Bragi,
damit die Bande nicht reißen
zwischen wahren und Wunsch-
söhnen,
daß du Loki nicht
mit Lästerung begrüßest
in der Halle hier.
17 Loki:
Schweig doch, Idun!
Scheinst du doch der Frauen
manntollste mir,
seit des Bruders Töter
du mit beiden Armen,
den schneeweißen, um-
schlangst.
18 Idun:
Mit Lästerworten
begrüß ich Loki nicht
in der Halle hier:
ich besänftige Bragi,
den bierseligen,
da ich Hader verhüten will.
19 Gefjon:
Warum müßt ihr Asen
hier innen euch beide
mit Scheltworten schmähn?
Das ist Lokis Art,
daß er ein Lästerer ist
und die Himnmlischen haßt.
20 Loki:
Schweig doch, Gefjon!
Den Göttern erzähl ich’s,
wer dich zur Liebe verlockt:
Schmuck schenkte
dir der schöne Knabe;
mit den Schenkeln umschlangst
du ihn.
21 Odin:
Wirr bist du,
Weitere Kostenlose Bücher