Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)
an der Uni geschrieben, als er noch dachte, das Studium der Germanistik sei die einzige akademische Wahl für Literaten (es hatte sich als genau umgekehrt entpuppt: Wer Literat werden möchte, darf alles studieren, bloß nicht Literaturwissenschaft). Hm, dachte Marxer. Wäre doch mal was anderes. Wenn er quasi, auch um dem Chaos der Gegenwart für eine Weile zu entfliehen, in die Vergangenheit... also jetzt mal ins Unreine formuliert: Wenn er aus der Geisteshistorie heraus die Geschichte aufbauen und dann behutsam in die Wirklichkeit führen würde... schon hatte er zu tippen begonnen.
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Das Domizil der Pixies of the Iceland war selbst für eine Ortsfremde nicht schwer zu finden, es lag am nördlichen Rand des botanischen Gartens von St. Helier, ein langgestreckter, gedrungener und schmuckloser Zweckbau, vor dem ein paar Autos parkten und aus dem heraus ein Bataillon Streicher süßliche Melodien wedelte. Vika trat ein – und die Musik hörte auf.
Ein bestuhlter, kalter Raum, die nackte Bühne an der Stirnseite, darauf ein gemischtes Pärchen in Straßenkleidung, die Stimme einer Frau, die inmitten eines Halbdutzends Sitzender stand und unverständliches Englisch nach oben zu den beiden Lauschenden schickte. Die nickten, sahen sich an, die Frau unten setzte sich, die Musik kehrte so überraschend wie sie verschwunden war wieder zurück, hörbar romantisches Gefidel, wie es Vika nicht schätzte. Das Pärchen begann sich im Rhythmus der Musik zu bewegen, fließende Bewegungen, durch die Luft windmühlende Arme, ein Sichentfernen, ein Sichnä hern, Ballett, aber nicht auf Spitze getanzt, modern eben. Hübsche Frau, dachte Vika und schalt sich sofort dafür. Das hier war JOB, kein Vergnügen. War es wirklich Job? Ein harmloses ästhetisches Schauspiel, schwebende Menschen zu schwebender Musik, man sah im Kopfkino das Bühnenbild vor sich, wahlweise einen lichtdurchfluteten Zauberwald oder eine finster glitzernde Höhle. Andererseits: Der Wagen, in dem die Frau Schnüffels zum Hotel gefahren worden war. Die Aufschrift. Vika setzte sich in eine der hinteren Stuhlreihen und sah zur Bühne hin, wo sich das Pärchen jetzt mächtig in den Rümpfen streckte und zusammenzog, bis der Mann die Frau endlich um die Hüfte fasste und die Geigen anschwollen wie eine Kollerader.
Zehn Minuten ging das so, von denen vor der Bühne konzentriert begutachtet und nicht mehr unterbrochen. Dann klang die Musik aus, zwei Hände klatschten, andere fielen ein, das Paar auf der Bühne verbeugte sich und sein weiblicher Teil sagte, laut vernehmbar: »Shit, Peter!« Der so Angesprochene verließ fluchend die Bühne, sprang in den Zuschauer raum, gestikulierte und redete auf die dort Sitzenden ein. Aha, dachte Vika, die Luft brennt auch bei den Elfen.
Die Proben waren vorbei. Man stand noch eine Zeitlang zusammen und sprach miteinander, die Tänzerin hatte ebenfalls mit einem Sprung die Bühne verlassen, war an den anderen vorbeigerauscht, dem Eingang zu, hatte Vika kurz fixiert und war nach heftigem Türknallen in die kalte Luft abgetreten. Ein Instinkt sagte Vika, sie solle ihr folgen, ein anderer, sie solle es bleiben lassen. Sie hörte auf den ersten.
Die Tänzerin stand neben einem Wagen auf dem Parkplatz und rauchte. Vika suchte nach ihren Zigaretten – sie rauchte selbst selten, hatte aber immer eine Packung eingesteckt, das gehörte zum Handwerkszeug –, tat so, als suche sie nach ihrem Feuerzeug (sie hatte eins, aber wollte es nicht finden), die Tänzerin sah es sich gelassen an, ihre Blicke trafen sich, Vika lächelte und die andere winkte sie zu sich her. So kam man in Kontakt.
Vikas Englisch war nicht schlecht, aber ungeübt. Schon ihr »Thank you« verriet sie, »you're German?«, fragte die Tänzerin und setzte hinzu: »Ich bin Schweizerin, aber frag mich nicht, wie lange ich schon auf dieser verfluchten Insel wohne.« Mareike hieß sie, »und was machst du bei uns? Auch im Gewerbe?« Das »Gewerbe« klang wie »Rotlicht«, verächtlich mit dem Rauch aus den Lungen gepresst. Nein, antwortete Vika, alles Zufall. Sie interessiere sich für Elfen, das ganze Zeugs, schon als Kind. Mareike lachte auf. »Ach so, du bist eine Esoterische. Na geht in Ordnung, davon leben wir schließlich.«
Die Zigaretten waren beinahe aufgeraucht. »Kommst noch mit nen Kaffee trinken?«, fragte Vika, »siehst so aus, als könntest einen gebrauchen.« Mareike nickte. Es war ein merkwürdiges Nicken, das spürte Vika sofort.
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Wie einer wohnt,
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