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Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition)

Titel: Die Edwin-Drood-Verschwörung 1 - 300 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dieter Paul Rudolph
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ist wichtig für den weiteren Lebensweg. Das wusste Borsig aus eigener trauriger Erfahrung. War er doch in einer sogenannten Problemsiedlung aufgewachsen, einem noch sogenannteren sozialen Brennpunkt, um nicht zu sagen einem üblen sozialen Netzwerk, mit dem verglichen Facebook harmlose Kinderkacke war. Bei Borsigs wurde die Margarine – Butter? Sehr witzig! – mit Springmessern aufs Brot ge schmiert, nachdem man sie notdürftig vom eingetrockneten Blut verfeindeter Clans gereinigt hatte, und der morgendliche Schulweg, den man höchstens dreimal im Monat ging, der Rest war spontanem Schulfrei gewidmet – glich einem US-Kriegsfilm, natürlich nur die ganz brutalen Szenen.
    Die falsche Adresse – und schon wirst du Hilfsarbeiter und kein Professor für frühkindliche Archäologie. War ja sattsam bekannt, soziale Selektion, große Scheiße ey. Nicht dass Borsig diesen Werdegang bereute, eine flotte Studentin – Anja! – hatte er immerhin abgreifen können. Es war ihm nur in den Sinn gekommen, als ihm die gigantische Isländerin Nancy Halgrimsdottir die Heimfahrt anbot, er voreilig genickt und seine Adresse genannt hatte, ein heruntergekommenes Plattenbaulabyrinth am Stadtrand. »Prima, liegt auf dem Weg.« Tat es. Nur, leider: Vorher würden die beiden anderen Titaninnen aussteigen, er wäre folglich mit Nancy alleine, deren Atelier die nächste logische Anfahrstation war. Was, wenn sie ihn auf »einen Drink« einladen würde?
    Borsig sah sich nicht in der Lage, ein solches Angebot abschlägig zu bescheiden. Gut, noch war es Theorie. Die erste stieg aus, verabschiedete sich – zwinkerte sie Nancy dabei nicht schelmisch zu, mit einem entwürdigend abschätzenden Seitenblick auf Borsig? Die zweite stieg aus, verabschiedete sich – und ja, kein Zweifel, sie zwinkerte Nancy lausbübisch zu, streifte Borsig mit einem Blick, mit dem Löwinnen vorbeiziehende Zebras, Gnus oder unvorsichtige Sa fariteilnehmer streifen. Warum wohnte er nicht woanders? Warum war er nicht zu Fuß gegangen oder mit dem Bus gefahren? »Kommst noch auf einen Absacker mit zu mir?« Borsig erstarrte und spürte, wie er langsam nickte.
    Borsig atmete auf. Nancy hatte, kaum waren sie im Schummerlicht des Ateliers, sogleich den Fernseher eingeschaltet, um mögliche Neuigkeiten über ihre isländische Heimat nicht zu versäumen. »Misch uns mal was Leckeres«, wies sie den Besucher an und zeigte auf einen mit Alkoholika gefüllten Schrank in einer Ecke. Borsig mixte. Nancy zappte fluchend durch die Programme, nichts Neues über Island. Die Bilder aus Großmuschelbach, das Rave-Event des Jahres, die beiden fetten Ganoven. Wenigstens hatten sie aus der Scheiße, in der sie saßen, das Beste gemacht. Borsig betrachtete unkonzentriert die zuckenden, tanzenden jungen Lei ber, Nancy lachte schallend. Dann gab es dem Mann einen Stich, hinterrücks ins Herz, dünkte es ihn. Das war doch... die kleine Halbnackte auf dem Wagendach, im Arm eines blondierten Bubis, die strategisch wichtigen Körperteile aneinanderreibend – das war doch: Anja. Seine Anja. Borsig nahm einen tiefen Schluck aus der Whiskeyflasche und schloss die Augen. Was immer nun geschehen mochte, es sollte sein, es war Schicksal eines von aller Gerechtigkeit ledigen Arbeiters, eines kleinen Mannes mit Hauptschulabschluss, dessen Nase nicht einmal groß genug war, um sprichwörtlich auf jenen legendären Johannes schließen zu lassen, der... wieder lachte Nancy. »Mensch, guck mal da!«
    Borsig guckte. Menschen in bunter Phantasiekleidung tanzten durch die Straßen. Wo war das? Immer noch Großmuschelbach? Bestimmt nicht. »Ekstatischer Tanztee in den Straßen der Hauptstadt von Jersey, das große Festival der Elfen und Trolle, Feen und Hexen«. War das Zufall? »Nein«, sagte Nancy und schaltete den Fernseher aus. Zufälle gab es nicht. Auch dass Nancy damit begann sich auszuziehen, war keiner. Borsig schielte zur Whiskeyflasche, sie war noch halb voll. Nicht mehr lange. Er würde es brauchen. Jetzt an Anja denken, diese Schlampe. Und dann... auf den lieben Gott vertrauen. Beten und arbeiten.

275
    Marxer nervte. Er war ein Tiger und der Flur sein Käfig, er durchmaß ihn mit dem schlurfenden Schritt des in die Jahre gekommenen Raubtiers, dessen Ge fährlichkeit längst zur bloßen Shownummer für zahlende Besucher verkommen war. Der Dichter kurz vor der Niederkunft. Der Dichter leicht angefressen. Kein Schwein, das sich für den Zettel interessierte, auf dem er den Namen jenes Mannes notiert

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