Die ehrenwerten Diebe
des weltweiten FLS-Elektro-Konzerns, der bereits in unserer Gegenwart Zukunft vom Fließband fabrizierte.
»Du brauchst dich ja nicht gleich zu entscheiden«, sagte Miriam, »aber anhören solltest du dir diese Geschichte in jedem Fall.«
»Gut«, erwiderte ich, »ich werde in den Apfel beißen, Schlange.«
»Daran hab' ich nicht gezweifelt«, versetzte Miriam. »Erstens bist du Mann und zweitens auch noch Fachmann.«
Der Mammutfall begann im kleinsten Kreis mit einem vorzüglichen Abendessen in der Münchener Villa des European Air-Generaldirektors Noske. Nur beruflich war der Spitzenmanager Schwergewicht; er trimmte sorgfältig seine Figur. Ein sportiver Fünfziger mit grauen Schläfen und einer sehr jungen, sehr eleganten und sehr stillen Frau.
Ich wußte, daß Noske über einen ausgezeichneten Ruf als Geschäftsmann verfügte. Aus kleinen Anfängen hatte er seine Gesellschaft an die Spitze geboxt. Viele sahen in der European Air die europäische Fluglinie, in der die oft mit Verlust arbeitenden nationalen Gesellschaften eines Tages aufgehen könnten.
»Ich bin sehr froh darüber, daß Miriam uns zusammengebracht hat«, sagte der Gastgeber, während er vorzügliche Drinks mixte. »Freilich hätte ich Sie viel lieber unter anderen Umständen kennen gelernt.«
Er sprach lupenreines Schriftdeutsch undefinierbarer Herkunft, so artikuliert, als hätte er eine Schauspielschule besucht.
»Gott bewahre«, versetzte er auf meine Frage. »Um mit Kennedy zu reden: Ich bin ein Berliner.« Er lachte kurz und kredenzte neue Cocktails. »Und wie alle Berliner komme ich natürlich aus Breslau.«
Sybille Noske bat zu Tisch.
Offensichtlich wollte sich ihr Mann aus Höflichkeit dazu zwingen, mit der Besprechung erst nach dem Dessert zu beginnen, aber das schaffte er nicht. Bereits zwischen Suppe und Hauptgang kam er zur Sache.
»Die European Air ist eine Gesellschaft mit Ehrgeiz«, sagte er. »Unser Streckennetz umfasst die ganze Welt. Wir arbeiten seit Jahren mit Gewinn. Erfolg macht dick.« Noske lächelte knapp. »Aber wir haben keinen Speck angesetzt. Wir arbeiten seit langem an einer Neuerung, mit der wir der Konkurrenz auf und davongehen können.« Er warf einen Seitenblick auf mich. »Sie müssen entschuldigen, daß ich etwas weit aushole.«
»Aber, bitte.«
»Sie wissen, daß viele Fluglinien mit Verlust arbeiten. Aus einem ganz einfachen Grund! Die eine Maschine ist ausgebucht, die andere fliegt leer. Es hängt keineswegs damit zusammen, daß etwa alle Passagiere am gleichen Tag fliegen wollen, sondern es ist ein Fehler im Buchungssystem. Es dauert einfach zu lange, bis der Passagier die Bestätigung erhält – und inzwischen fliegt der Vogel leer. Das kostet ihn etwa genauso viel, wie wenn seine Sitzplätze ausverkauft wären.« Mit sichtlichem Stolz ließ er die Katze aus dem Sack: »Wir haben nun in Zusammenarbeit mit dem FLS-Konzern ein System entwickelt, bei dem Sie praktisch jeden Flug irgendwo in der Welt innerhalb von – na, sagen wir – hundert Sekunden bestätigt erhalten. Eine weltweite Buchungszentrale mit Computer, ein Platzreservierungssystem ohne Grenzen. Die Sache hat uns bis jetzt über dreißig Millionen Mark gekostet, aber wir erwarten innerhalb von knapp zehn Jahren einen Rationalisierungsgewinn von fast einer halben Milliarde Mark.«
Es war eine vermutlich auf elektronischem Weg zustande gekommene Kalkulation, aber man konnte sie getrost an den zehn Fingern nachzählen: Es gab keinen Zeitunterschied mehr. Er war unerheblich, ob man bei Tag oder bei Nacht ein Ticket erwerben wollte. Sprachliche Hindernisse waren genauso ausgeschaltet wie menschliche Irrtümer.
Das neue System war sowohl eine revolutionäre Verbesserung der Technik als auch eine spürbare Verbilligung der Kosten. Es würde nicht nur die European Air auf einen geschäftlichen Höhenflug bringen, sondern auch die Flugpreise ins Sinken – und müßte dadurch in naher Zukunft jedermann zugute kommen.
»Und wie weit sind Sie damit?«
»Das Programm läuft bereits auf Probe«, entgegnete Noske. »Übrigens mit dem größten Erfolg.«
»Damit wären Sie ja eigentlich am Ziel?«
»Leider nicht nur wir«, versetzte er. »Ich muß befürchten, daß unsere Trumpfkarte in falsche Hände geraten ist.«
»Warum?« fragte ich ihn und ließ, von der Erregung gepackt, das vorzügliche Filet Wellington fast unberührt abtragen.
»Unser ganzes Buchungsprogramm wurde von einem Unbekannten zumindest einer Konkurrenzfirma
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