Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
nur dazu da, um vom zweiten, dritten, vierten Mal überschrieben zu werden. Im besten Fall fühlen sie sich noch wie eine Verheißung an, aber niemals wie eine Vereinigung. Wie sollten sich Fremde auch vereinigen können? Und zu was? Ich habe gelernt, meine ersten Male von großen Erwartungen zu befreien: keine himmlischen Fanfaren, kein Du-und-ich-Ballast, höchstens Hinbewegungen, Tasten, Suchen. Und immer wieder auch Danke und Lebwohl.
Mit Simon Liebe zu machen ist, als würde man einen unbekannten Kontinent betreten und wie durch ein Wunder alle Straßenschilder lesen können. Ich will meine innere Chronistin, die sonst jedes Geschehen für mich moderiert, zum Schweigen bringen, aber ich kann nicht verhindern, dass sie mir ab und zu Dinge zuraunt. Wie warme Butter, die von frisch gebackenem Brot tropft, sagt sie. Wie das Eintauchen eines Ruders auf einem stillen, glatten See. Wie ein pelziger Farnkrautwedel, der sich entrollt. Wie das leuchtend gelbe Fleisch einer Mango. Wieso Mango? Wieso nicht, sagt sie. Ich sehe Schwärme von Krokusblüten unter Wasser dahintreiben, ich sehe eine Reihe murmelnder tibetischer Mönche im Kreis herumgehen, und ich glaube, ich heule sogar ein bisschen, vielleicht aus Dankbarkeit, vielleicht aus Erschütterung.
Es dauert lange, bis ich wieder imstande bin, Laute zu entschlüsseln. Simons lachender Mund formt jetzt Worte und keine Küsse mehr, er fragt mich, ob ich etwas trinken möchte, und ich nicke immer noch heftig ins Kopfkissen, als er längst aufgestanden und fortgegangen ist. Ich höre, wie er in seinem Koffer herumwühlt. Der dumpfe Klang von schweren Flaschen, die gegeneinanderstoßen, der helle von Trinkgläsern. Dann seine Schritte, die sich wieder dem Bett nähern. Ich öffne die Augen.
»Du hast Rotwein in ein buddhistisches Seminarhaus eingeschmuggelt.«
»Und wieder raus. Das war doppeltes Risiko.«
Simon setzt sich zu mir aufs Bett, und ich drehe mich auf den Bauch und sehe ihm zu, wie er behutsam die Flasche entkorkt und zwei Gläser füllt.
»Warum sind wir eigentlich hier?«
»Weil wir eine großartige Idee hatten«, sagt Simon zufrieden und reicht mir ein Glas. »Oder war das jetzt die Frage nach dem Sinn des Lebens?«
»Weder noch. Warum du dich für drei Tage in diesem Hotel einquartiert hast, wollte ich wissen.«
»Ich hatte keine Ahnung, wie mir das Wochenende bekommen würde. Ich wollte nicht gleich danach wieder nach Hause, ich wollte noch ein bisschen Zeit für mich haben. Am Mittwoch habe ich einen Ortstermin, nicht mal eine Stunde von hier, das passte wunderbar.«
Wir stoßen an. Der erste Schluck Wein schaukelt wie Samt in meinem Mund, seine Wirkung setzt ein, bevor ich ihn hinuntergeschluckt habe, und erinnert mich daran, dass ich fast nichts zu Abend gegessen habe. Ich stelle die Frage, die leichter zu beantworten ist. Die andere kann warten.
»Hast du das vorher schon mal gemacht? Meditieren? Schweigen?«
»Nein, noch nie. Aber ich habe eine ältere Schwester, die mich seit Jahren auf den rechten Weg bringen möchte. Sie heißt Deva Pujari. Irgendwann in den Achtzigern ist sie bei Bhagwan gelandet. Ich wollte nie etwas damit zu tun haben.«
»Wenigstens kannst du ihren Namen auswendig.«
»Ich habe oft an sie gedacht während der letzten Tage. Vielleicht hätte ich mir eine Menge Leiden ersparen können, wenn ich ihr von Anfang an besser zugehört hätte. Vieles von dem, was Gerald erzählt hat, kam mir bekannt vor. Und es klang auf einmal so richtig.«
»Und wie kam es, dass du deine Meinung geändert hast?«
Simon sagt: »Jetzt würde ich gern wieder mit dem Rauchen anfangen«, dann sagt er: »So eine Art Burn-out«, und dann, nach einer kleinen Pause: »Komm, das hast du dir doch schon längst gedacht. ›Manager auf der Suche nach sich selbst‹, irgendwas in der Art.«
»Und wenn schon«, sage ich. »Man geht doch nicht automatisch zum Meditieren, wenn man Burn-out hat.«
»Aber es liegt plötzlich sehr nahe«, sagt Simon.
»Ich wollte vorhin auch gern eine rauchen«, sage ich. »Als ich draußen auf dich gewartet habe.«
»Mila«, sagt Simon, und zu dieser späten Stunde klingt mein Name aus seinem Mund nicht mehr wie eine Speise, sondern wie der Wein, den wir trinken. »Was ist das für ein Glück, dass du dageblieben bist.«
»Übrigens musst du mir nichts von dir erzählen, wenn du nicht willst.«
»Aber ich will doch. Gern sogar. Und außerdem bin ich jetzt dran mit fragen. Was hattest du an diesem Wochenende da
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