Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
dermaßen gerührt an, dass ich es nicht mehr aushalte und zu lachen beginne und sage, in Wirklichkeit wäre ich nicht Yogalehrerin, sondern Stripperin in einem bulgarischen Nachtklub, und Simon widerspricht und sagt, das eben sei kein Strip gewesen, sondern das Schönste, was er je gesehen hätte, und ich sage, solange er nicht ausgezogen und rasiert wäre, liefe hier überhaupt nichts mehr.
Simon springt auf und holt sein Waschzeug aus dem Koffer und verschwindet im Bad. Er lässt die Tür halb offen stehen. Ich bleibe eine Weile unschlüssig auf dem Bett liegen. Ich höre das Geräusch einer Schiebetür, dann das Rauschen von Wasser und kurz darauf wieder die Tür. Dann ist Stille. Mir ist nicht nach Warten zumute. Ich stehe auf und sehe mich nach irgendetwas um, das ich mir überwerfen könnte. Ich finde nichts außer einer Wolldecke, aber in eine Wolldecke gehüllt das Badezimmer zu betreten käme mir dann doch übertrieben vor, besonders nach meinem Auftritt eben. Auch gut. Wir haben uns ja schon ein bisschen kennengelernt.
Der große Spiegel hinter dem Waschbecken ist blind vom Wasserdampf. Simon steht davor, er trägt ein Handtuch um die Hüften und rührt energisch mit einem Pinsel in einer runden Silberdose herum. Ganz vage erinnert mich das Bild an Gerald mit seiner Klangschale.
»Was hast du da?«
»Rasierseife«, sagt Simon und hält den Pinsel kurz unter fließendes Wasser, bevor er seine Arbeit fortsetzt.
Ich nehme beiläufig das zweite Badetuch von der Stange, hole mir einen Hocker zum Sitzen und sehe dabei zu, wie sich in der silberfarbenen Dose immer mehr fester Schaum bildet und an den langen Haaren des Pinsels hängen bleibt. Simon wischt mit dem Unterarm ein Stück vom Spiegel frei und beginnt den Schaum auf sein Gesicht aufzutragen, massiert Schicht um Schicht mit den Pinselhaaren ein, bis eine weiße cremige Masse seine Haut bedeckt. Ich habe diese Zeremonie seit Ewigkeiten nicht mehr bei einem Mann gesehen. Nassrasuren kommen in meinem Leben nur noch bei Mädchen vor, und bisher war ich der Meinung gewesen, außer englischen Internatsschülern würde niemand mehr eigenhändig seinen Rasierschaum aufschlagen. Irgendwie bin ich erleichtert, als Simon Pinsel und Dose abstellt und nicht nach einem Barbiermesser, sondern nach einem normalen Rasierer greift.
Ich lasse mein Handtuch liegen und stelle mich hinter ihn, lege mein Gesicht zwischen seine Schulterblätter und nehme die Wölbung seines Hinterns mit meinen Bauch auf. Es passt perfekt. Ich schiebe meine Hüften noch ein bisschen weiter vor, und Simon antwortet mit leichtem Gegendruck. Seine Haut an den Schultern ist warm und feucht. Ich fahre mit den Lippen die Wirbelsäule entlang und fühle meinen eigenen Atem im Gesicht. Simon setzt zum ersten Schnitt an, fängt an zu lachen und legt den Rasierer beiseite.
»So wird das nichts«, sagt er und dreht sich zu mir um. »Wenn du vorhast, da stehen zu bleiben, müssen wir das Ganze abbrechen und was anderes machen.«
»Darf ich dich rasieren?«
Simon sieht mich an, als wäre ihm ein anderer Vorschlag lieber gewesen. Ich zeige ihm meine makellosen Achselhöhlen und meine glatten Beine. Er wirkt immer noch etwas unschlüssig. Erst als ich ihm sage, ich hätte schon als Kind meinen polnischen Großvater zwei Mal in der Woche rasiert, willigt er ein. Vielleicht glaubt er, er könne auf diese Weise mehr über meine Familie erfahren.
Er setzt sich auf den Hocker und schließt die Augen.
»Falls du noch etwas sagen möchtest, dann sag es lieber gleich, danach ist es zu gefährlich.«
»Ich finde dich toll. Es wäre ein guter Moment, um zu sterben.«
»Aber doch nicht jetzt«, sage ich und nehme den Rasierer in die Hand. Ich beuge seinen Kopf zurück und straffe mit meinen Fingern die Haut an seiner Wange. Ich sehe die kleine pulsierende Ader an seiner Schläfe. Dann ziehe ich vorsichtig meine erste Bahn. Es läuft gut. Der Schaum, den ich abziehe, hat die Konsistenz von Eischnee mit Zucker und fällt von Simons Kinn auf seinen Bauch, und er wischt ihn mit dem Handrücken weg.
Bahn für Bahn lege ich Simons Gesicht frei. Die zarte Haut neben den Nasenflügeln. Die tiefen, mondsichelförmigen Einkerbungen an den Seiten des Mundes. An den Wangen mehrere kleine Hautkrater aus fernen Jugendzeiten. Ein Leberfleck unter dem Ohrläppchen. Bei seinem Kinn muss ich ihn um Mithilfe bitten, und er klemmt sich gehorsam die Unterlippe zwischen die Zähne und schiebt den Kiefer nach vorn. Ansonsten hält
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