Die einen sagen Liebe, die anderen sagen nichts: Roman (German Edition)
betraf. Dass sie noch mal mit Marek schwanger wurde, passte nicht so ganz in ihre Lebensplanung. Aber so ein Kindermädchen kommt ja auch mit zwei Gören klar. Außerdem war es kein Kindermädchen, sondern eine gestandene Frau. Elli. Sie blieb fast zwölf Jahre bei uns. Sie war klasse. Meine Eltern waren also damit beschäftigt, sich zu lieben und ein erfolgreiches Unternehmen hochzuziehen. Sie fanden es irgendwie nett, dass sie auch noch zwei Kinder hatten, aber viel Zeit konnten sie dafür nicht aufbringen. Wenn sie nicht in der Firma waren, trieben sie sich auf Modemessen oder wichtigen Empfängen herum. Händchen haltend, versteht sich.«
»Jetzt begreife ich, warum euer Besuch in Legnica so in die Hose gegangen ist. Wusstest du damals schon, was mit deiner Mutter passiert war?«
»Ich kannte ein paar Geschichten vom Krieg und dass sie Pflegeeltern hatte, aber die Zusammenhänge konnte ich nicht erkennen. Dass meine Großeltern mit uns völlig überfordert waren, habe ich erst viele Jahre später kapiert. Ich habe sie übrigens nie wieder gesehen. Aber Marek hatte bis zu ihrem Tod Kontakt zu ihnen.«
Der Kellner kommt, um unsere Teller abzuräumen. Auf unsere Kritik reagiert er mit solcher Betroffenheit, dass man glauben könnte, er selbst hätte die Lasagne nach einem alten Familienrezept geschichtet. Wir bestellen Rotwein. Als er mit der Flasche zurückkehrt, wirkt er immer noch etwas konfus, aber immerhin kann er uns die frohe Botschaft verkünden, dass die beiden Hauptgerichte selbstverständlich aufs Haus gingen. Ob wir sonst noch einen Wunsch hätten, Dessert, Schnaps, Kaffee?
»Haben Sie vielleicht eine Zigarette für mich?«, frage ich ihn, und Simon sieht mich belustigt an, aber er weiß nicht, dass ich mit meiner Geschichte noch nicht mal auf der Zielgeraden bin. Der Kellner rennt entzückt los und legt mir die Zigarette wie ein apportiertes Stöckchen auf den Tisch. Der Rotwein ist sogar noch besser als der weiße. Ich merke, dass ich langsam betrunken werde, und das finde ich großartig. Ich bin eine begnadete Erzählerin, sogar meine Eltern kommen in meiner Geschichte großartig rüber. Das habe ich einzig und allein Irene zu verdanken, dass ich so nett über sie plaudern kann. Mein Kleid ist übrigens auch großartig. Das mit dem rechten Träger gehört wahrscheinlich so. Und Simon. Simon ist so großartig, dass ich aufpassen muss, nicht vor lauter Weinseligkeit in Tränen auszubrechen.
»Komm, wir gehen und nehmen den Wein mit nach oben«, sagt Simon. »Gibt es die Firma ›Edel-Klamotten‹ eigentlich noch? Ein toller Name ist das.«
»Nein, die gibt’s nicht mehr«, sage ich und lege die Zigarette behutsam in das Seitenfach meiner Handtasche, damit sie nicht knickt.
Auf dem Weg nach oben fallen mir die Kerzen ein, die wir heute nicht gekauft haben, und ich renne noch einmal zurück ins Restaurant und schwatze dem Kellner zwei Teelichter und eine Schachtel Streichhölzer ab. Er gibt sie mir und sieht mich dabei an, als fände er, dass wir langsam quitt sind, und ich verspreche ihm, dass ich heute auf keinen Fall mehr wiederkäme. Simon hat unsere Zimmertür angelehnt gelassen. Ich bin betrunken genug, um zärtlich mit der Hand über die messingfarbene 23 zu streichen, bevor ich hineingehe.
Simon ist im Bad, ich höre ihn singen. »Oooh what a lucky man he was«, singt er, und ich kenne das Lied, schließlich hat Klaus Edel nicht nur die Welt in Hippieklamotten gehüllt, sondern auch seine Kinder mit Hippiemusik beschallt, wenn er mal zu Hause war. Auf dem Tisch steht die Weinflasche, ich nehme meinen Mantel vom Haken und taste nach meiner Zigarette, weil ich sie genau jetzt rauchen will. Als ich mit der Weinflasche in der Hand die Balkontür öffne, taucht Simon auf und ruft »He, warte« und holt seine Jacke und den Badezimmerhocker als zweiten Sitzplatz.
Heute Nacht hängen keine Nebelwolken über den Dächern, aber auch keine Sterne, der Himmel ist bedeckt und die Luft überraschend mild. Simon beugt sich über das Geländer und sagt, er könne durch das Glasdach direkt unter uns den Platz sehen, an dem wir eben noch gesessen hätten.
»Deine graue Jacke hängt noch über der Stuhllehne«, sagt Simon.
Ich denke an den Kellner und antworte, diese Jacke würde die Nacht gern da unten verbringen. Dann hole ich die Streichhölzer raus und zünde meine Zigarette an. Ich kann es an Simons Körperhaltung ablesen, dass er noch Fragen hat.
»Hasst du deine Mutter deswegen so, weil sie sich
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