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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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bis zu einem freien Tisch und ließen ihre Tabletts draufknallen. »Wenn beim Saint Basil’s-Spiel die Punktedifferenz unter zwölf bleibt, geh ich mit sechzig Dollar heim. Ich mach natürlich halbe-halbe mit dir.«
    Julie betrachtete das Essen und zuckte innerlich zusammen. Warum fiel es ihr bloß so schwer, eine halbwegs erträgliche Figur zu behalten, während Phoebe sich von purem Zucker ernährte, ohne ein Pfund zuzunehmen, ohne auch nur einen Pickel im Gesicht? »Ich verlier nicht absichtlich ein Spiel, nur damit du dreißig Dollar gewinnst.«
    »Du verlierst absichtlich, wenn du verlierst, nicht wenn du gewinnst.« Phoebe schob sich ein Stück Zitronenmeringentorte in den Mund. »Du glaubst wahrscheinlich, es ist leicht, deine Freundin zu sein, was, Katz? Du glaubst, ich bin ganz zufrieden dabei? Ich meine, du kommst daher, fällst in die Welt ein wie Grant in Richmond, und hast diese verdammten Kräfte, und irgendeine Art Gott existiert, und bei all dem muß ich still sein! Es macht mich völlig verrückt. Mom übrigens auch.«
    »Hab Geduld. Ich bin mit meinem Auftrag noch nicht soweit…«
    »Ich bin geduldig!« Phoebe verzehrte ein Doughnut. »Hey, hab ich dich je gebeten, mir bei meinen beschissen Noten zu helfen? Und als mein Cousin zusammengeschlagen wurde, hab ich da gesagt, mach ihn wieder heil?«
    Julie wurde rot im Gesicht. »Es gibt eine Menge Dinge, um die du mich nie gebeten hast!« Sie zeigte quer über die Cafeteria auf Catherine Tyboch, die ihren untersetzten Körper auf Krücken stützen mußte. »Du hast mich nie gebeten, ich soll schauen, daß die Tyboch wieder laufen kann. Oder daß ich Luzies Anorexia heilen soll.«
    »Ich war grad im Begriff…«
    »Sicher! Glaub ich sofort!«
    »Also ehrlich: hinter einem Basketball herzurennen, entspricht nicht ganz deinen Fähigkeiten.«
    Rachsüchtig spießte Julie ein Stück von Phoebes Kuchen auf die Gabel und aß es auf. »Es gibt da ein Zimmer bei mir daheim, das du noch nie gesehen hast.«
    »Wo du und Roger vögeln? Ich hoffe, du bist vorsichtig. Wie Mom immer sagt: ›Sein Vögelchen in deiner Hand ist besser als deren zwei in deinem… Busch.‹«
    Julie wunderte sich nicht über Phoebes Talent für Sex. Prachtvolles Gesicht, geschmeidige Figur, sahnig schillernde dunkle Haut. Typisch: Gott hatte Phoebe einen besseren Körper gegeben als ihrer eigenen Tochter. »Roger und ich tun sowas nicht. Er verehrt mich.«
    Phoebe kicherte. »Verehrt auch das Wasser, auf dem du wandelst!« Sie aß ein Brownie, das genau die Farbe ihrer Haut hatte. »Wirklich, kriegst du nichts Besseres als Roger? Ich meine, er ist doch eigentlich ziemlich langweilig und prüde? Du bist helle, freundlich, hast nette Titten und machst zwölf Punkte pro Spiel. Nicht wie ich mit meiner F in Mathe und diesen Winztitten. Warum verschwendest du dich an Roger?«
    »Er ist ein guter Katholik. Ich brauch das. Es hilft mir.«
    »Deine Mutter zu lieben?«
    »Nein, es hilft dabei, sie nicht mehr zu hassen.«
    »Du solltest deine Mutter nicht hassen, Katz.«
    »Ich hasse sie.«
    »Was ist das für ein Zimmer?«
    Julie nannte es ihren Tempel. Früher war es das Gästezimmer gewesen, jetzt erhielt es ihr die geistige Gesundheit. Das Ganze hatte allmählich begonnen, sie hatte nur ein paar tragische Geschichten aus Time und Atlantic City Press ausgeschnitten und in ein Album geklebt. Aber bald hatten sich die Zeitungsausschnitte über die Wände ausgebreitet, dann über Fußboden und Decke, bis alle sechs Flächen von menschlichem Leid nur so trieften: Erdbeben, Dürrekatastrophen, Schlammfluten, Feuersbrünste, Krankheiten, Entstellungen, Süchte, Autounfälle, Eisenbahnunglücke, Rassenkrawalle, Massaker und H-Bomben-Tests.
    War das alles wirklich wesentlich? Das wollte Pop eines Tages wissen.
    Es hielte sie von der ›breiten Straße‹ ab, hatte Julie erklärt. Er hatte die Sache nie wieder erwähnt.
    »Eindrucksvoll«, sagte Phoebe, als sie am Nachmittag nach dem Lucky Dogs-Spiel die Kollagen betrachtete, »aber was soll das Ganze?«
    Julie ging zum Altar, einem ehemaligen Spieltisch, auf dem zwei Messingkerzenleuchter, dick und reich verziert wie Klarinetten, den Schädel des Seemanns flankierten, den sie neulich aus der Bucht heraufgeholt hatte. »Bevor ich ins Bett gehe, verbring ich gut zwanzig Minuten in diesem Raum. Dann kann ich schlafen.«
    »Das heißt, du sitzt einfach da und starrst auf die ganze Qual? Du schaust es dir bloß an?«
    »Hm-hmm. Genau wie Gott.«
    »Das ist

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