Die eingeborene Tochter
Eng aneinandergeschmiegt wie junge Kätzchen, schlüpften Julie und Roger hinter den Tisch in der Kitchenette. »Ein richtiges Clubhaus!« meinte sie aufgekratzt.
»Ich hatte einmal ein Baumhaus«, sagte Roger, »ist leider runtergefallen.«
Julie verstand nicht recht, was Roger eigentlich an ihr fand. (Außer seine katholischen Instinkte sagten ihm, wer sie wirklich war.) Er leitete den Studentenrat, gab die Schulzeitung heraus und besaß auffällige Ähnlichkeit mit dem Bild eines äußerst gut aussehenden Jesus in Phoebes alter Katechismusklasse. Sein einziger Fehler – Phoebe hätte gesagt: seine einzige Tugend – bestand in einer gewissen Faszination für das Groteske, besonders Monsterfilme und Stephen King-Romane, Vorlieben, die Julie den grellen und wollüstigen Schrecken der Hölle vor dem zweiten Vatikanum zuschrieb, die seine kindliche Vorstellungswelt beherrscht hatten.
Phoebe nahm das Mikrofon vom Armaturenbrett. »Hier spricht Ihr Captain!« Die Verstärkerstimme rasselte wie eine Murmel in einer Vase durch den Bus. »Party beginnt um Mitternacht!«
»Party!« seufzte Roger. Halb erregt, halb entsetzt.
»Großartig!«
Wie vorauszusehen war, brachte Ramblin Girl Phoebes übelste Instinkte zum Vorschein.
Der Winnebago schoß wie eine Rakete vom Kinoparkplatz. »Christus!« kreischte Julie, »nicht so schnell!« Sie bretterten die Küstenstraße runter – Phoebe hatte wohl eine Riesenwette beim Speedrennen laufen. Draußen brauste New Jersey vorbei – schäbige Farmen, dreckige Raffinerien, grelle Reklametafeln, die große Gewinne im ›Caesar’s‹ oder ›Golden Nugget‹ versprachen. Der Winnebago klapperte wie ein Baumhaus im Wirbelsturm.
»War jemand in dem Baumhaus drin?« wollte Julie wissen.
»Ich«, sagte Roger. »Ein Wunder, daß ich’s überlebt hab.«
Erklärt vieles, dachte Julie. Nichts macht einen mehr zum guten Katholiken als der Hauch des Todes.
»Ah, hah!« schrie Phoebe und bog in den Parkplatz der Somers Point High School ein. Daß keiner von ihnen hier zur Schule ging, spielte keine Rolle. Sie waren alle bei jener riesigen Reisegesellschaft, die man gemeinhin ›Adoleszenz‹ nennt; das war ihr Parkplatz, schien so freundlich und einladend wie ein Landgasthof. Phoebe fuhr in eine unbeleuchtete Ecke und stellte den Motor ab. Julie lachte, küßte Roger auf die Backe. Zerrissene Basketballnetze, verbogene Fahrradständer, galgenartige Lampen – ja, hier waren sie richtig.
Lucius und Phoebe kamen nach hinten in die Kitchenette, nahmen Flaschen aus dem bewußten Schrank. Die Etiketten faszinierten Julie – jedes Logo kündete in vornehm gesetzter Druckschrift von angelsächsischer Ehrbarkeit, als sei Alkohol eher eine Form der Literaturkritik, und nicht Hauptursache für Verkehrstote und Hirnerweichung. Phoebe mixte die Drinks. Zuerst Cola mit Rum für sich, dann für Lucius Wodka mit Tonic. Seit Julie mit Phoebe im verlassenen Deauville-Hotel Bier süffelte, hatte ihre Begeisterung für Schnaps kein Jota zugenommen, sie wollte aber einen ›Black Russian‹ versuchen – hörte sich an wie etwas, das ihre Mutter hundertprozentig ablehnen würde.
»Könnt ich bitte auch was haben?« fragte Roger vorsichtig.
»Aber sicher!« sagte Phoebe.
»Hab dich letzten Dienstag auf dem Platz gesehen.« Lucius servierte Julie den Black Russian. »Hast ’ne gute Figur gemacht.«
»Julie sieht immer gut aus«, sagte Roger und lächelte einfältig.
»Ja, großartig, 64 zu 39!« Julie nippte an ihrem Drink. Süß, sündig, exquisit.
»Julie kann jedes Basketballspiel gewinnen, wenn sie will!« Phoebe mixte für Roger einen Swizzle mit der hirnrissigen Begeisterung des verrückten Wissenschaftlers aus ›Zehntausend Psychotiker‹. »Sie ist mit dem Universum verbunden!«
Lucius öffnete die Schlafkabinentür. Playboy- Posterauf der schwarzen Innenseite, darunter eine gewisse Miss März. Diffuser Zweifel, welchem Playmate sie jene Spende zu verdanken hatte – ihr Eingang ins Leben. Miss März sah rührend aus. Warum fanden Männer Brüste erotisch, warum machten sie diese Fleischmassen verrückt? Ja, es gab an der Brigantine High viel zu viele unerwünschte Schwangerschaften, aber daran hatte ihre Mutter sicher auch Schuld. Sie stellte den Jungs ja die Schwänze hoch. Wie z. B. den da.
»Keine Sorge!« Lucius zwinkerte zweideutig. »An dieser Tür wird immer angeklopft.«
Roger führte sie in das kleine Boudoir und stellte ihren Black Russian aufs Nachttischchen. Lucius machte
Weitere Kostenlose Bücher