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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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angenommen und die Promenade überfüllt mit Tänzerinnen und Musikkapellen. Überall auf den Piers tummelten sich Clowns und verteilten Luftballons. »Es wird nicht gutgehen«, hatte Klein-Bix seinem Vater erklärt. »Der Mob geht rein und macht alles kaputt.« Vater hatte nur ein verärgertes Gesicht gemacht. »Der Mob macht das immer so. Liest du keine Zeitungen, Dad?«
    Bix schlürfte den Kaffee – er schmeckte nach Styropor – und lauschte den Geräuschen von der Sovereign Avenue. An der Kreuzung mit der Arctic wurde eine in Weindämpfe gehüllte Ruine abgerissen. Die ganze Stadt war mit Graffiti beschmiert, sogar die Flanken der streunenden Hunde.
    Warum ging der Moon bankrott? Waren seine Außerirdischen denn um ein Haar weniger pervers als die vom World’s Bugle, seine abscheulichen Schneemenschen um ein Haar weniger geil als die vom National Comet? Hatten denn Bix’ surrealistische chirurgische Eingriffe, die schwangeren Urgroßmütter, siamesischen Vierlinge und Geister von Berühmtheiten nicht neue Maßstäbe für die ganze Industrie gesetzt? Ja, ja, ja und nochmals ja – und doch blieb jenes Krisenessen, das Tony für die ganze Redaktion arrangiert hatte, leider eine unumstößliche Tatsache – perfekte Gelegenheit, sie alle um die Kündigung zu bitten.
    Er kam schließlich bei Nr. 1475 Arctic Avenue an, trat an den offenen Fahrstuhlschacht – die Kabine lag kaputt und träge im Keller wie ein gesunkenes Schiff – und warf den Kaffeebecher in die quadratische Öffnung. Er schleppte seinen massigen Körper durch das verfallene Stiegenhaus bis in den dritten Stock. Dort meldete Madge Bronston, die chronisch lächelnde Empfangsdame der Zeitung, eine irrsinnig hartnäckige junge Frau, sei eben in sein Büro eingefallen.
    »Ich glaube, wegen einem Job«, erklärte Madge.
    »Fein. Könnte einen brauchen.«
    »Ich hab wirklich versucht, sie rauszuschmeißen. Glaub mir. Sie ist unheimlich stur.«
    Bix öffnete die Tür, an der sein Name stand. Die Besucherin – füllig, Haut wie Karamelbonbons, Anfang Zwanzig – riß sich von der Betrachtung seiner Sammlung ringsum aufgehängter Ufo-Fotos los und schenkte ihm ein bemerkenswert sinnliches Grinsen. »Ich wollte immer schon mal zum Pluto«, sagte sie. New Jersey-Akzent. »Mars hört sich blöd an, Saturn ist eh nur ein Haufen Gas, aber Pluto…« Ihre Hand kam wie ein flatternder Vogel auf ihn zu; ohne es eigentlich zu wollen, ergriff er sie. »Ich bin Julie Katz. Sie müssen Mr. Constantine sein.«
    »Hmm-hmm.«
    Ihr weißes Strandkleid blendete ihn. Lippen von jener saftigen Art, die die Muslime veranlaßt, ihre Frauen zu verschleiern. Weiter oben entdeckte er eine reizende Stupsnase, türkisblaue Augen und eine Menge ungebärdigen schwarzen Haars.
    So fing es ja immer an: zuerst quälendes Verlangen, dann die erste Verabredung, das Werben, falsche Schwüre bei der Hochzeit, rotznäsige Kinder, wechselseitige Illusionen über die Dauer von Gefühlen, außereheliche Affären (die meisten von seiner Seite, aber zweifellos würde sie sich auf ein paar Vergeltungsficks einlassen) und dann, unausweichlich – die Scheidung. »Ich fürchte, dieses Unternehmen geht den Bach runter, Miss Katz.« Bix schritt zur King-Kaffeemaschine, die durch irgendein Wunder Madge nicht anzuschalten vergessen hatte, und füllte seinen Becher. Er trug die Inschrift: ›Ich bin zum Schluß gekommen, daß man für einen anderen Menschen ohne jeden Nutzen sein kann – Paul Cezanne.‹
    »Wir haben keinen Job für Sie.«
    Die aufdringliche Dame berührte mit spitz zugefeiltem Fingernagel ein UFO-Bild. »Sind Sie ein Gläubiger?«
    »Da lang geht’s raus, junge Frau.«
    »Sagen Sie mir nur, ob Sie daran glauben. Gibt’s UFOs wirklich?«
    Er schluckte Kaffee, höchstwahrscheinlich die einzig annehmbare Sache auf der Welt. »Zehntausend Begegnungen bis heute, und doch hat niemand auch nur ’ne außerirdische Filzlaus oder ’nen Papierschnitzel mitgebracht. – Sie wollen doch gar nicht für uns arbeiten. Wir sind die am stärksten zensurierte Zeitung außer der Prawda.« Wie wahr, dachte Bix. Mehr noch als beim Sowjet-Journalismus hatten Irrationalität und Sentimentalität einer Parteilinie zu folgen. Der Mann, der auf dem Operationstisch starb und gleich darauf wiederbelebt wurde, durfte immer nur von einem weißen Licht und Engeln erzählen; wenn es dort nämlich grau und schrecklich wäre, würde man das in der Inhaltsübersicht vergeblich suchen. »Wird Zeit, daß Sie gehen,

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