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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Flundern und Seesterne waren meine Freunde, als ich klein war.«
    »Dann essen Sie doch ein Steak. Der Moon bezahlt.« Bix schlug auf ein leeres Aquarium. Ein gläsernes bong hallte durch den Raum. »Bei ›Dante’s‹ um acht. Okay?«
    »Dinner, Bix. Nur Dinner. Nicht der erste Schritt zu einem Schtup.«
    »Klar.« Er nahm den leeren Postsack auf den Arm. »Wer weiß – es könnte Ihnen ja auch gefallen.«
    Als ihr Boss den Pier hinunterwatschelte, öffnete Julie den Brief des arbeitslosen Schweißers.
    »Liebe Sheila: Der Westinghouse-Gefrierschrank kam am Sonntagmorgen an, stand da auf der hinteren Veranda wie ein Landstreicher, der auf Almosen aus ist. Zuerst fürchteten wir, es sei keine Garantie drauf, aber dann steckten wir ihn an, und da kam dieser seltsame grüne Nebel unten raus. Bevor wir richtig mitkriegten, was los war, schälte sich schon die Tapete ab, und alle Zimmerpflanzen gingen ein, und dann waren Emma und ich volle sechs Stunden am Kotzen, dazu noch die Rennerei aufs Klo, bis wir dem Ganzen ein Ende machten und das Ding auf die Schutthalde warfen. Also, wenn man Sie wieder mal um einen Kühlschrank bittet, Sheila, schicken Sie dem ein anderes Modell!«
    Was? Grüner Nebel? Eine unsichtbare Faust drückte ihr die Kehle zu. Sie öffnete den nächsten Brief.
    »Liebe Sheila: Sie haben es zweifellos gut gemeint, als Sie mich mit Alex Filippone zusammenbrachten, weil er wirklich ein sehr netter Mann zu sein schien. Er brachte mir Blumen, wir gingen in Shows, und plötzlich waren wir verheiratet. Die Schwierigkeiten begannen, als er diese Windeln anzog und verlangte, ich soll ihn mit einem abgebrochenen Kanupaddel verhauen, denn er sei ein böser kleiner Junge, aber dazu konnte ich mich nicht überwinden, überhaupt nicht, und als nächstes ist er mit dem Großteil meiner Ersparnisse abgehauen, so daß ich nun dastehe wie vorher, nämlich einsam, nur ohne Geld.«
    Windeln? Kanupaddel? Wieso, zum Teufel? Kalte Furcht packte sie. Nie mehr die breite Straße, schwor sie sich. Nie. Nie wieder.
    »Liebe Sheila: Offensichtlich haben Sie sich mit meinem Gesicht große Mühe gegeben. Größtenteils sieht es jetzt besser aus. Warum bin ich also hier am De-Grazzio-Institut? Nun, ich nehme an, als Sie sich meine Nase vorgenommen haben, Sheila, waren sie irgendwie abgelenkt, denn jetzt hab ich zwei davon, und ich muß Ihnen nicht erzählen, daß eine zweite Nase in einem verbrannten Gesicht keine große Verbesserung ist. Ich bin sicher, Sie haben Ihr Bestes getan, und die Operation wird vielleicht auch gut ausgehen, dennoch wünschte ich…«
    Julie stöhnte. Sie weinte. Sie schlug mit der Faust auf das nächststehende Aquarium, das sich plötzlich mit Kreaturen aus dem Moon zu bevölkern schien; mit gefräßigen Piranhas und Loch Ness-Monstern, Alien-Embryos und aquatischen Bigfoots – mit Tränen und verpflanzten Herzen und tausend überflüssigen Nasen.

 
7. Kapitel
     
    Billy Milks Schmerz saß nicht in einem bestimmten Knochen, Organ oder identifizierbaren Blutgefäß. Die Unsicherheit war, wie Gott, plötzlich überall. Wenn sich diese Unsicherheit nur auf einen bestimmten Teil fokussieren würde, wie der himmlische Vater im unschuldigen Fleisch des Sohnes, so daß Billy diesen speziellen Teil berühren, die Zweifelschwellung zusammenpressen und sich Linderung verschaffen könnte.
    Er betrat die First Ocean City Church of Saint John’s Vision. Methodisch stellte er sieben Leuchter in einer Reihe auf den Altar – eine Art Windschutz aus goldenen Bäumen. Er kratzte an der Augenklappe. War er wirklich dazu ausersehen, dieses Babylon Atlantic City zu zerstören? Die Zeichen deuteten darauf hin – das Augenlicht seines Jungen, die Entlarvung der großen Hure – und doch, wann immer er Billy Timothys Augen oder das Nachthemd der Hure in der Kirche öffentlich vorgeführt hatte, war seine Herde eher gleichgültig geblieben. Offenbarung 7,4 sprach explizit von 144.000 – bis jetzt hatte er ganze 209 Kämpfer für den Kreuzzug.
    Reg dich nicht auf, dachte Billy und zündete die Kerzen an. Gott will keine Kämpfer, die blindlings vorwärtsstürmen; der Himmel rekrutiert seine Heerscharen nach seinem eigenem Zeitmaß. Kreuzzüge waren eine ernste Sache, eine Sache von Blut und Feuer im Grunde; abgeschnittene Köpfe werden auf Lanzen gespießt und starren über die Mauern des mittelalterlichen Antiochia auf unchristliche Türkenhorden, bis das Fleisch sich löst und nur die nackten Schädel übrigbleiben.

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