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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Warte. Nur Geduld. Er kniete vor dem Altar, küßte den sanften, kühlen Marmor.
    Das Tor des Heiligtums öffnete sich. Herein schritt Timothy, blaues Funkeln in den Augen, ein Paket Skandalzeitungen hatte er unter den Arm geklemmt. Der liebe Timothy, so gut aussehend und kraftvoll in seinem dreiteiligen weißen Baumwollanzug, das Beste wohl, was ein Vater als Sproß vom Stamme der leichtgläubigen Eva und des ungehorsamen Adam zu ernten hoffen konnte!
    »Das mußt du dir anschauen, Dad.« Timothy klatschte den Stapel auf den Altar. Midnight Moon hieß das Blatt, darunter die Schlagzeile: BABY – UND SCHON SCHWANGER!
    »Timothy, sowas lesen wir nicht. Und schon gar nicht hier!«
    »Schau doch.« Timothy zeigte ihm eine Ratgeberkolumne, betitelt ›Der Himmel hilft‹. Alle Briefe an eine gewisse Sheila adressiert.
    Der Pastor hatte selten Blasphemien jener Art sehen müssen, wie sie nun sein einziges Auge beleidigten. Diese Sheila riet zum Selbstmord. Nannte Gott reif zum Abwracken! Timothy schlug einen zweiten Moon auf (KREBS – ELVIS HEILTE MICH!) Und wieder Sheila, verteidigte Scheidung und Abtreibung…
    »Ziemlich scheußlich, hm?« Timothy nahm ein drittes Exemplar. »Weißt du, wo das erscheint?«
    Billy nahm seinen Sohn am Arm. »In der Hölle?« Sie lachten beide. Es war gut, miteinander zu scherzen, Vater und Sohn. Der Herr hat durchaus Sinn für ein gewisses Maß an Humor.
    »In Atlantic City.«
    Atlantic City. Atlantic City! Billys Auge schwoll an wie ein unentdeckter Tumor. Seine Haut schlug förmlich Blasen, sein Herz kochte; langsam, aber stetig, das spürte er, verkümmerte die Schlange des Zweifels, bis sie starb. Wo stand denn geschrieben, daß das Tier aus Kapitel 13 männlich sein mußte? Gab nicht Weiberfleisch eine passende Verkleidung für den verkörperten Satan? »Der Antichrist«, murmelte er. Eine obszöne Wesenheit nahm vor seinem Phantomauge Gestalt an. »Der Antichrist!« rief er. Das da war sie, da, mit Schuppenhaut und Dornenhaar und Augen statt Brustwarzen. »Auswurf und Hure des Teufels!« Er schlug auf den Altar, die Kerzenflammen zuckten wie erschreckte Sünder. Atlantic City war die Heimstätte des Tieres – und dies da der Stock, seine Herde zum Kampf anzustacheln! Deus vult, hatten sie beim Niederbrennen Babylons geschrien, Babylon, das Bollwerk des Antichrist, Deus vult!, Papst Urban II. Kreuzzugsschlachtruf – Gott will es! »Jetzt kriegen wir unsere Armee!« Billy führte seinen Sohn durch die Garderobe in die Küche der Kirche. »Schluß mit ihren lächerlichen Ferien!« Sogar die Initialen paßten: Anti-Christ, Atlantic City.
    Ihr Abstieg ins Kellergeschoß glich einem Freudentanz.
    »Deus vult, richtig, Dad?«
    »Deus vult, mein Sohn!«
    Billy führte seinen Jungen zur Straßenkarte von New Jersey auf dem Anschlagbrett. Happy motoring, stand da. Exxon Company.
    Eine ganze Stadt niederzubrennen, sei kein Kinderspiel, hatte ihr Brandstiftungsexperte, Ted Rifkin, zu bedenken gegeben. »Auch wenn du alle Abbruchhäuser ansteckst, um die Feuerwehr zu beschäftigen, hast du grade ’ne Fifty-fifty-Chance, das Ding durchzuziehen.« Aber Billy bevorzugte einen anderen Plan. »Das ist ein Angriff auf Babylon, Ted, nicht auf Abbruchhäuser.« Natürlich würden sie ein paar Häuser anzünden – Billy hatte nichts gegen Strategie. Die Hauptmacht mußte jedoch gegen die zwölf Casinos vorgehen, die vielleicht ausersehen waren, zu den zwölf Toren des Neuen Jerusalem zu werden. Die Heerscharen des Heilands mußten die Welt vom ›Golden Nugget‹ säubern – diesem Pfahl im Auge Gottes. Das ›Atlantis‹ untergehen lassen, diese freche Lästerung wider den Heiligen Geist. Das ›Sand’s‹ niederbrennen, das ›Tropicana‹, das ›Claridge‹, ›Caesar’s‹…
    »Erzähl mir was über den ersten Kreuzzug«, befahl Billy seinem Sohn. »Erzähl mir was über Dorylaeum.«
    »Ein großer Sieg!« rief Timothy inbrünstig. Viele junge Männer kommen vom College dümmer als vorher zurück, die Hirne vernebelt von unbiblischem Wissen. Nicht so Timothy. »Prinz Bohemund teilte seine Armee – Infanterie ins eine Lager, Kavallerie ins andere.« Timothys Hand sauste durch die Luft, teilte schwungvoll die fränkischen Truppen. »Der Tag schien schon verloren. Qili-Arsans Pfeile hagelten hernieder, das Fußvolk geriet in Panik – ließ die Waffen fallen und strömte zurück zum Zeltlager. Eine Katastrophe bahnte sich an. Aber dann, plötzlich, tauchte wie aus dem Nichts Bohemunds

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