Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
Vom Netzwerk:
ortsansässige Gottheit, wie sie Thunfisch mit Roggenbrot ißt!« Die Kamera schlich näher, ging auf Julies Nacken hinab. Julie trank Milch. »Milch, großartig, sehr symbolträchtig. Nimm noch einen Schluck. Und nun – ist das möglich? Ja, sie stellt wirklich das Glas in den Geschirrspüler, sie läßt es nicht etwa für ihre Freundin Phoebe stehen! Wir haben da ein richtiges Wunder, Leute. Nächstens wird sie die Hungrigen nähren, die Nackten bekleiden und dem Teufel den Arsch versohlen.«
    Wenigstens war Phoebe mit diesem widerwärtigen Hobby beschäftigt. Wenigstens war sie nicht die ganze Zeit am Saufen.
    Julie hatte das heikle Thema sehr vorsichtig angeschnitten, dachte sie wenigstens. Sie hatte ihre Kolumne über Drogenmißbrauch mit einem 3 mal 5 Zoll großen Zettel an die Tür des Tempels geheftet. Darauf stand: ›Wenn du je darüber sprechen willst, würd ich das begrüßen.‹ Am nächsten Tag erschien der Ausschnitt auf Julies Computer: ›Wenn du dich je um deine eigenen Sachen kümmern wolltest, würd ich das begrüßen‹, lautete Phoebes Nachricht.
    Jeden Freitagnachmittag unternahmen Julie und Melanie den Versuch, das Cottage zu säubern. Krankhaftes Spiel, diese Sucherei nach Phoebes kleinen Schnapsflaschen; eine Art pervertierter, aber notwendiger Ostereiersuche. Sie ließen sich gewissermaßen von den Kothäufchen des Osterhasen leiten. Auf Angel’s Eye konnten die verdammten Dinger praktisch überall auftauchen – in der Waschmaschine, im Spülkasten vom Klo, in einem ausgehöhlten Wörterbuch. Einmal, als Melanie den Ölstand in ihrem Honda überprüfte, fiel ihr Blick auf den Plastikbehälter mit der Scheibenwischerflüssigkeit. Einer Eingebung folgend, machte sie ihn auf und steckte den Finger hinein. Rum. Ein paar Tage später bemerkte Julie während der Gedächtnisfeier für die Lucy II eine merkwürdig purpurne Schattierung in der Flamme. Der Docht brannte mit purem Gin.
    Eingreifen? fragte sich Julie. Die Sucht wegmachen? Die naheliegende Option natürlich: sie mußte nur ihre Finger eine halbe Stunde auf Phoebes Stirn drücken, und das Verlangen nach Alkohol wär weg. Aber dann würde Phoebe nie lernen, auf ihren eigenen zwei Füßen zu stehen. Dann würde Phoebe nie erwachsen werden. Julie durfte Phoebe nicht von übernatürlichen Lösungen abhängig werden lassen, genausowenig wie die Spezies Mensch überhaupt. Sie hätte nur eine Sucht gegen die andere getauscht.
    Baby-Bank gesprengt.
    In Fetzen gerissen.
    Sie hatte Tausende Feinde. Die warteten nur darauf, daß sie anfing, sich wie Gott aufzuführen.
    All ihre tapferen Bemühungen, all der Rum und Gin, den sie literweise in den Ausguß schüttete, konnten Tante Georgina nicht befriedigen. Georgina, der weinerliche Quälgeist. Sie nannte Julie selbstsüchtig und solipsistisch. Feige sei Julie, verweigere ihre Hilfe, klagte sie, behandle Symptome statt Ursachen – lasse ihre beste Freundin im Stich. Wann, fragte sich Julie, würde Georginas völlig unangebrachter Groll überkochen? In einem größeren Showdown?
    Beim Frühstück. Sonntagmorgen, fünf nach elf.
    »Mach sie gesund!« schnauzte die Tante. »Verstehst du, Julie? Ich halt das einfach nicht mehr aus!« Sie deutete mit dem Kinn zum Bad, wo Phoebe lautstark die Reste der nächtlichen Sauferei in die Kloschüssel reiherte. »Kann sein, daß dein Vater keine Einmischung wollte, aber ich will, daß du dich einmischst!«
    Julie rührte Teig für Arme Ritter. Mach sie gesund. Misch dich ein. Klang so einfach und richtig, nur – Georgina konnte die historischen und kosmologischen Implikationen nicht begreifen. »Die Menschheit – und das schließt Phoebe ein – wird niemals Verantwortung für sich selbst übernehmen, wenn ich ihr dauernd aus der Patsche helfe.«
    »Jetzt mach einen Punkt!«
    Phoebes Würgen hallte durchs ganze Cottage, klang wie das Reißen einer Zeltplane.
    »Weißt du, was wir machen sollten?« sagte Julie. »Wir sollten zum Al-Anon-Treffen gehen, wir beide.« Sie zog eine Brotschnitte durch den Teig. »Das ist für die Leute, deren Kinder oder Ehepartner zu viel trinken.«
    »Ich will kein Meeting, Julie, ich will ein Wunder!«
    Julie legte die durchweichte Schnitte aufs Backblech. »Schau, eigentlich ist sie doch in Ordnung, oder? Führt peinlich genau die Bücher, schnauzt nie die Kunden an, fährt den Wagen nicht zu Bruch…«
    »Bring sie in Ordnung!« Georgina stieß die Brotschnitte in den Teig wie ein Sadist, der ein Kätzchen ertränkt. »Bring

Weitere Kostenlose Bücher