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Die eingeborene Tochter

Die eingeborene Tochter

Titel: Die eingeborene Tochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Morrow
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Körper dünner, als er war; den Pessimismus mutiger.
    Immer höher hinauf. Das oberste Stockwerk bei ›Dante’s‹ bestand aus piekfeinen Schwimmbädern, Saunas, Gymnastikräumen und Penthouse-Wohnungen für Berufsspieler und Gangster. An dem Wochenende, das Bix und Julie hier verbrachten – sie hatten mehrere Monatsgehälter dafür aufgewendet –, eröffnete ihr Bix die letzten Umsatzzahlen.
    »Ich hab’s heute morgen erfahren«, sagte er und gab ihr einen Zungenkuß. »Im Mai wurde die Absatzkurve flach.«
    Julie biß sich und ihn in die Zunge. »Und…?«
    »Und im Juli sind wir um 2,1 % abgefallen«, gestand er. »Fürchte, Tony will dir den Stecker ziehen.«
    2,1 % Rückgang. Julie hatte das Gefühl, etwas Lebenswichtiges – ihr Stecker, ihre Seele – sei schon rausgerissen worden. »Und? Kannst du ihn hinhalten?«
    »Wenn wir bis zum Labor Day 50.000 neue Leser aufreißen, dann…«
    »Fünfzigtausend? Und wie wahrscheinlich ist das?«
    »Wie wahrscheinlich ist es, daß die Hölle kondolieren geht?«
    »Fünfzigtausend?«
    »Hmm.«
    »Du mußt für mich kämpfen, mein Herzblatt!«
    »Kämpfen? Womit denn? Was für Munition krieg ich denn von dir?«
    »Kämpf einfach. Ich brauch diese Kolumne, Bix. Kämpfe!«
     
    Daß der Leuchtturm Zeuge einer endlosen Parade von Phoebes und Georginas Freundinnen wurde (sapphisch und platonisch); daß er sich zu einer Art exklusivem Club wandelte – WILLKOMMEN AUF ANGEL’S EYE, FÜR MÄNNER KEIN EINTRITT –, das störte Julie nicht. Eine feminine Welt hatte viele Vorteile. Kein Herumsuchen nach einem Tampon. Wie durch Zauberhand tauchten Ausgaben von Ms. und Flaschen mit Handlotion auf. Der Superbowl kam und ging unbeachtet, wobei einige Bewohner von Angel’s Eye sich nicht einmal sicher waren, welchem Sport er geweiht war.
    Unter den Gästen stach Phoebes Freundin Melanie Markson hervor, Autorin unveröffentlichter Kinderbücher und die einzige Frau in Julies Bekanntschaft, auf die das Wort stattlich paßte: Phoebe und Melanie, die Laurel und Hardy von Atlantic City, zogen wie pensionierte Veteranen Hunderter lesbischer Doppelbesäufnisse durch die Casinos.
    »Ich hab mir das Buch deines Vaters angeschaut«, erzählte Melanie am Morgen nach der entmutigenden Enthüllung der Umsatzzahlen, »›Hermeneutik des Gewöhnlichen.‹ Tolles Material. Ich sehe Schnappschüsse jetzt mit ganz anderen Augen an.«
    Julie hatte vor kurzem eins von Melanies Manuskripten gelesen, die Geschichte von einem jungen Hund, der mit vollem Recht seinen Vater umbringt. Julie war beeindruckt, verstand aber, warum Melanie das Buch nicht angebracht hatte.
    »Ich wünschte nur, Papa könnte dich jetzt hören.«
    »Zu schade, daß er’s nicht beendet hat. Hätte man rausbringen können.«
    »Er war nicht gut darin, Dinge zu beenden. Vielleicht ist dir aufgefallen, daß nur die Hälfte der Räume hier Türen haben.«
    »Du sprichst niemals über deine Mutter«, sagte Melanie.
    »Genausowenig wie du.«
    »Meine Mutter starb kurz nach meiner Geburt.«
    »Und meine«, sagte Julie, »kurz nach meiner Empfängnis.«
    »Was?«
    »Eine lange Geschichte, Melanie. Ein andermal.«
    Und dann gewann eines Tages Melanie den Jackpot. Sie verkaufte fünf Kinderbücher für 30.000 Dollar Vorschuß, bekam für die Filmoption des Disney-Imperiums noch einmal das Doppelte, kaufte sich einen neuen Luxus-Computer und Phoebe, ihrer Geliebten, eine tragbare Videoausrüstung. Eine schlechte Wahl, dieser Camcorder. Kein Kind mit ständig bearbeiteter Spielzeugtrommel war je so lästig wie Phoebe, die damit durchs Haus rannte wie der Skandalreporter irgendeiner Kabelstation.
    »Mach das Ding aus!«
    Aber Phoebe ließ das Band weiterrennen, die Linsen weiterglotzen.
    »Das ist eines Tages heißer Stoff, Katz. Die ›Dead Sea‹-Kassetten!«
    »Laß mich in Ruhe!« Julie versuchte Phoebe aus der Küche zu drängen.
    »Reg dich ab – ich verschaff mir nur die nötige Praxis.« Phoebe spähte durch den Sucher. »Glaubst du, ich verbringe den Rest meines Lebens damit, Salzwasser-Andenken und Scherzkissen zu verkaufen? Scheiße. Ich mach bald meine eigene Firma auf. Hatte diese brillante Idee – nichtpornographische Erwachsenenvideos. Cinéma vérité – wie Sex wirklich ist. Das wird ein Hit!«
    »Würd mich nicht drauf verlassen.« Julie klappte ein Thunfisch-Sandwich zusammen.
    »Weißt du, was dein Problem ist, Katz? Du hast nicht genug Vertrauen in die Menschen.« Phoebe zoomte. »Und nun – ta-ta-ta! – unsere

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