Die Eingeschworenen Raubzug
nickte. Niemand sprach. Er trat auf den schmalen Grat in der Mitte des Steins, der nicht mehr als handbreit war, und mit drei leichten Schritten war er hinüber.
Ich schluckte und nahm Hild die Fackel ab. Ich starrte sie an. Sie starrte zurück, doch ich musste meinen Blick von ihren schwarzen Augen abwenden, die wie Pech waren und hinter denen etwas … etwas Fremdes lauerte, etwas noch Dunkleres.
Ketil Krähe nahm den Steg ebenso elegant. Krummnacken fuhr sich erst nervös über den Mund, ehe er über die Steine schlurfte, dann folgte ich. Einer nach dem anderen balancierten wir so über den schmalen Grat.
Einar nickte. »Jetzt machen wir Vigfus fertig, Jungs. Es gibt kein Entrinnen für ihn.«
Wir stimmten zu. Und jetzt wurde mir plötzlich alles klar. Seit dem Überfall auf dem russischen Schiff hatte ich darüber nachgegrübelt und es nicht verstanden. Sie hatte alles mit Einar abgesprochen. Sie hatte gewusst, dass Hogni ein Spion von Vigfus war und Einar darauf aufmerksam gemacht und ihm gleichzeitig ihren Preis dafür genannt, wenn sie ihn zu Attilas Silber führen würde, und auch dafür, dass sie ihm ihren kostbaren Talisman, den Lanzenschaft, überließ.
Vigfus. Der sie geschlagen und missbraucht hatte und der jetzt ihre Rache spüren sollte.
Sie hatte sich mit Hogni verbündet, indem sie ihm vorgaukelte, sie wolle von Einar weg – und all das mit Einars Wissen. Einar hatte gehofft, Vigfus schon auf dem Schiff zu erledigen – das war der Grund gewesen, weshalb alle ihre Rüstung trugen und sich bewaffnen sollten, denn er
wusste, es würde zu einem Überfall kommen. Doch als Vigfus nicht dabei war, ließ er sie Hild mitnehmen, weil er dachte, dass er Vigfus dann in der Stadt erwischen würde.
Doch auch das war fehlgeschlagen, und damit hatte Einar nicht gerechnet. Jedoch vertraute er darauf, Hild gut genug zu kennen, dass sie Vigfus an einen Ort führen würde, wo er schließlich in der Falle säße und nicht entkommen konnte. Wir brauchten ihnen nur zu folgen, bis hierher.
Der Entschluss hatte Einar bestimmt einige Kopfschmerzen bereitet – aber Hild hatte sich an ihren Teil der Abmachung gehalten.
Mir schwirrte der Kopf. Hier war Rachsucht am Werk, gepaart mit Klugheit, und im Grunde musste man Einar bewundern. Aber das Ganze zeugte auch von einer furchtbaren Kaltblütigkeit, es war so skrupellos, dass es zum Himmel stank.
Einst, als ich noch spät im Jahr wilden Honig gesucht hatte und dachte, ich hätte in einem hohlen Baum eine Wabe gefunden, hatte ich ohne zu zögern meine Hand hineingesteckt, denn wenn man schnell ist, kann man Bienen überrumpeln, besonders wenn die Kälte sie schon etwas träge gemacht hat. Ich fühlte etwas Klebriges und siegesgewiss zog ich eine Handvoll heraus – es waren nichts als tote Bienen und altes Wachs, eine so stinkende Masse, dass es mich würgte.
Ich wusste auch jetzt, woher dieser faule Gestank kam. Ich war mir sicher, dass Einar ein schlechtes Geschäft gemacht hatte, ganz gleich, was er erwartete, das Hild für ihn tun würde. Was immer Hild auch gewesen sein mochte, ehe sie sich so … so verändert hatte – sie war jetzt jemand, der seine eigenen Pläne verfolgte.
Gewiss wollte sie auch zu Attilas Grab, da war ich mir ziemlich sicher. Vielleicht musste sie aus irgendeinem Grund dorthin. Und sie brauchte uns, um hinzukommen. Aber was dann?
Einar hatte nur noch Silber vor Augen, dass es seinen Blick getrübt hatte. Aber was noch schlimmer war, ich sah mit wachsender Verzweiflung, wie er uns alle mitriss, denn durch unseren Schwur waren wir mit unserer Ehre an ihn gekettet.
Zusammen mit Valknut wuchtete er den riesigen steinernen Riegel von der ebenso schweren Steintür. Niemand wagte zu fragen, wie Hild das vorher allein geschafft hatte.
Wir gingen die Treppe hinunter und erreichten einen Absatz, von dem es nach links weiterging, dann folgten wir dem Licht von Vigfus’ Fackeln, die den Raum am Ende beleuchteten. Noch zwei Stufen, dann blieben wir stehen. Überrascht, starr vor Angst.
Der Raum war voller Männer, sie trugen Rüstungen aus brüchigem Leder, rostigem Metall und Spinnweben. Sie saßen mit gekreuzten Beinen da, vor sich den aufrechten Speer, der in einer Vertiefung im Boden steckte. Ein paar Köpfe mit besonders schweren, kunstvollen Helmen waren heruntergefallen, ein paar der skelettierten Hände waren von ihrem Speer abgerutscht, aber unbeirrbar saßen Denghiziks Getreue da, in derselben Haltung, die sie an dem Tage eingenommen
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