Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)
angelogen?«
Sie betrachtete ihn noch einen Moment länger, dann trat sie wortlos auf ihn zu und umarmte ihn. Er erwiderte die Umarmung nur zögernd. Er schämte sich, ihre Dankbarkeit zu empfangen, und es gefiel ihm auch nicht, wie gut sie sich in seinen Armen anfühlte. Die Wilson Combat steckte vorne in seinem Hosenbund und geriet zwischen sie, und das sollte eigentlich als Metapher genügen, dachte er.
Nach einem Augenblick löste er sich von ihr. »Also gut, Mädchen«, sagt er. »Jetzt aber los. Ich geleite Sie sicher zum Bahnhof. Und ich halte die Augen offen nach Ihrem Film.«
Sie zögerte. »Werde ich Sie je wiedersehen?«
Er schüttelte den Kopf. »Da spricht das Stockholm-Syndrom aus Ihnen.«
»Blödsinn.«
Er lächelte und versuchte nicht zu zeigen, wie beschissen er sich fühlte. »Nun, ich habe ja Ihre Handynummer. Wer weiß?«
»Rufen Sie mich eines Tages mal an? Nicht gleich. Erst … wenn das alles anfängt, irreal zu erscheinen.«
Er hielt sein Lächeln aufrecht. »Das würde mir gefallen.« So, wie er es ausgedrückt hatte, war es nicht einmal gelogen.
Er folgte ihr wie geplant zum Bahnhof. Als er sich vergewissert hatte, dass sie eine sichere Zone erreicht hatte, hielt er neben ihr. Sie wandte sich ihm zu und sah ihn an, und er dachte, sie würde gleich an den Wagen treten. Also biss er die Zähne zusammen, hob die Hand zum Abschied und fädelte sich in den Verkehr ein. Er sah in den Rückspiegel und der Anblick, wie sie da allein auf dem Gehsteig stand und ihm nachblickte, machte ihn trauriger, als er sich seit langem gefühlt hatte.
Kapitel
Dreißig
Am nächsten Morgen standen wir alle vier auf dem Vorfeld des verschlafenen Flughafens von Santa Monica. Kanezaki hatte einen Linienflug zum LAX genommen, wo er in einen gecharterten Jet umstieg, um uns hier abzuholen. Wir hätten uns auch am LAX mit ihm treffen können, aber die Sicherheitskontrollen an den großen Flughäfen waren derzeit extrem und wir wollten nichts riskieren – selbst, wenn wir bereit gewesen wären, unsere Schusswaffen zurückzulassen, was nicht der Fall war. Also hatte ich die anderen am Flughafen von Santa Monica abgesetzt und dann den Lastwagen zu einer
U-Haul
-Niederlassung in der Nähe gebracht, damit Kanezaki nur die Strafe dafür entrichten musste, einen Laster auf der falschen Seite das Kontinents zurückzugeben, statt ihn komplett bezahlen zu müssen.
Wir hatten die Nacht in einem anderen Billigmotel in L. A. verbracht. Kei war weg und das war eine Erleichterung – selbst für Larison, wie es schien. Larison und Dox hatten ein paar Worte miteinander gewechselt, aber außer Hörweite, daher wusste ich nicht, was gesagt worden war. Aber am Ende hatte Dox den offenbar verblüfften Larison in eine seiner bärenartigen Umarmungen gezogen. Larison wirkte so überrascht und aus der Fassung gebracht wie ich beim ersten Mal. Ich hätte ihm gerne gesagt, dass man sich nach einer Weile daran gewöhnte – Dox hätte behauptet: es genoss –, aber ich dachte, das würde erschon selbst herausfinden. In der Zwischenzeit war es gut, wenn Larison begriff, dass es zwar keinen schlimmeren Feind gab als Dox, aber auch keinen besseren Freund.
Ich hoffte, die richtige Entscheidung getroffen zu haben, als ich Larison die Glock zuwarf. Rückblickend war ich mir über meine eigenen Motive nicht ganz sicher. Es war entweder das Nobelste oder das Dümmste, was ich je getan hatte. Und leider war es noch zu früh, um es mit Sicherheit sagen zu können.
Ich hatte am Morgen das Bulletin-Board überprüft. Es gab eine einzelne Nachricht von Horton:
Rufen Sie mich an. Die Sache muss gestoppt werden.
Und danke. Ich werde es nicht vergessen.
Der letzte Teil bezog sich wohl darauf, dass wir Kei hatten laufen lassen, vielleicht auch, weil wir sie vor Larison geschützt hatten. Wahrscheinlich war es sogar ehrlich gemeint gewesen in der Erleichterung, die ihn nach mehreren Nächten mit den schlimmsten Ängsten seines Lebens durchflutet haben musste. Aber ich bezweifelte, dass seine Dankbarkeit anhalten würde. Ich beschloss, nicht anzurufen. Larison hatte recht. Horton war ein chronischer Manipulator und ich wollte ihm keine weitere Chance geben, mich mit seiner Süßholzraspelei einzuwickeln.
Auf dem kleinen Flughafen war nicht viel los und ich erkannte das Flugzeug sofort, das Kanezaki mir beschrieben hatte: eine seltsam knollige private Turboprop-Maschine mit zwei Stummelflügeln unter der Nase und nach hinten versetzten
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