Die Einheit: Thriller (Tokio Killer) (German Edition)
Weiße Haus war die Stadt unauffällig, wenn nicht langweilig. Breite, gerade Straßen, einfallslose Architektur, keinerlei Flair. Ich stellte fest, dass Washington mit London und New York eine der wenigen verbliebenen Städte war, wo die Männer selbst im Sommer fest entschlossen schienen, Krawatte und Jackett nie abzulegen. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sie in London und New York wussten, wie man sich anzieht. Aber was den Büroangestellten in Washington an Stil fehlte, ersetzten sie durch ein gewisses Federn im Gang. Ich fragte mich, was ihrer Chuzpe zugrunde lag, und entschied, dass es die Nähe zur Macht sein musste. Schließlich wedelt der Hund auch dann mit dem Schwanz, wenn er um Essensreste
bettelt
, nicht nur, wenn er sie bekommt.
Noch vom Flughafen aus hatte ich Horton von den Ereignissen in Wien berichtet. Wie bei Shorrock wusste er bereits Bescheid. Er teilte mir mit, dass das Geld überwiesen sei und schlug vor, dass wir uns zusammensetzten, um den nächsten Auftrag zu besprechen. Aber ich sah in einem persönlichen Treffen nur Nachteile. Wir verfügten noch immer über die Kommunikationsgeräte, die er mir in Los Angeles gegeben hatte. Das Zyanid hatte ich beseitigt und glaubte nicht, einen Ersatz zu brauchen. Also lehnte ich ab und sagte ihm, er solle stattdessen das Bulletin-Board auf der sicheren Website verwenden, die ich eingerichtet hatte.
In einem Park machte ich Pause, fischte das iPad aus der Schultertasche und suchte ein öffentliches WiFi-Netzwerk. Ich überprüfte mein Bankkonto und verifizierte den Eingang der dreihunderttausend. Dann ging ich auf das Bulletin-Board, um zu sehen, ob Horton die Datei über die Zielperson hochgeladen hatte.
Hatte er. Ich öffnete sie und sah den Namen. Ich hätte ihn selbst dann erkannt, wenn ihm nicht der Titel gefolgt wäre:
Diane Schmalz, Richterin am Obersten Gerichtshof der USA.
Nein, dachte ich und schüttelte den Kopf.
Kommt überhaupt nicht infrage.
Horton ignorierte meine eiserne Regel bezüglich Frauen und Kindern. Vielleicht dachte er, Geld wäre alles. Wenn ja, hatte er sich getäuscht. Ich hatte sehr lange nach dieser Regel gelebt und selbst die einzige Abweichung war nicht wirklich eine Ausnahme gewesen, weil ich es aus persönlichen Gründen getan hatte, nicht als Teil des Auftrags. Daran würde sich jetzt nichts ändern.
Aber was, wenn ihr Tod Tausende von Leben rettet?
Nein. Das war mir egal. Wenn es eines gibt, von dem ich genauso viel verstehe wie vom Töten, dann ist es die Anstiftung dazu. Ein winziger Schritt nach dem anderen. Die Kunst, jemanden dazu zu bringen, eine Grenze zu überschreiten, die er gar nicht erkennt, bis er zurückblickt und sieht, dass sie schonunabsehbar weit hinter ihm liegt.
Ich blätterte die Akte durch. Fotos. Privatadressen in Washington und von einem Wochenendhaus im westlichen Maryland. Terminkalender. Kein erkennbares Sicherheitsbewusstsein und kein Schutz, weil kein Richter am Obersten Gerichtshof je einem Attentat zum Opfer gefallen war.
Es ergab keinen Sinn. Ich hatte mich nie besonders für das interessiert, was in Amerika als Rechtssystem gilt, doch ich kannte Schmalz’ Namen und ihren Ruf als eine der letzten Hüterinnen der Bürgerrechte am Gerichtshof. Man konnte sich nur schwer vorstellen, dass sie Teil eines Komplotts sein sollte, die bürgerlichen Freiheiten abzuschaffen. Wenn überhaupt, hätte ich sie auf der anderen Seite erwartet.
Ich scrollte herunter und sah, dass Horton meine Einwände vorausgeahnt haben musste. Er schrieb:
Wenn der Präsident seine Notstandsermächtigung erklärt, wird er verklagt werden. Es gibt vier autoritäre Richter, die ihn stützen werden. Vier andere könnten schwanken. Schmalz wäre hundertprozentig gegen ihn und könnte zu einer Fünf-zu-Vier-Abstimmungsniederlage führen. Das wäre nicht unbedingt tödlich für die Pläne der Putschisten, aber mit Sicherheit würde es einen schweren Schlag für ihre Öffentlichkeitsarbeit bedeuten, neben der Zustimmung des Kongresses nicht auch den Segen des Obersten Gerichtshofs zu haben.
Schmalz
’
Sohn ist Rechtsanwalt, verheiratet, drei kleine Kinder. Er ist insgeheim homosexuell und die Verschwörer sind im Besitz von Fotos und Videobeweisen für seine Untreue. Er hat bereits zwei Mal mit Selbstmord gedroht und befand sich in Therapie und medizinischer Behandlung. Schmalz ist klar, dass die Enthüllung der Homosexualität ihres Sohnes seine Familie und Karriere zerstören würde, ein
Weitere Kostenlose Bücher