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Die Einöder

Die Einöder

Titel: Die Einöder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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sähe er die Zahl wie ein Fanal draußen über dem ausgedörrten Regental und den toten Bergzügen stehen – und dann, es kam wie eine unvermittelte Eingebung über ihn, faßte er einen Entschluß. Ich will meiner Frau für die vierzig Ehejahre danken, in denen sie all das Leid mit mir geteilt hat, dachte er. Und ich will ihr auch danken für die lustvolle Liebe, die sie mir geschenkt hat, als unser Leben noch nicht so trostlos wie später war.
    Er genoß die Vorstellung, seinem Weib etwas Gutes zu tun – doch mit einem Mal wurde ihm klar, daß es in ihrem hoffnungslosen Dasein auf dem halbverfallenen Einschichthof kaum eine Möglichkeit dazu geben würde. Alles, was er seiner Frau zu schenken vermochte, bekam sie bereits von ihm: Er hielt ihre faltige, vom Alter und vom Hunger ausgezehrte Brust in seiner Hand, und darüber hinaus, so erkannte er unter jäh aufflackerndem seelischen Schmerz, würde er nichts für sie tun können.
    Dennoch grübelte er; dachte ungeachtet des dumpfen, betäubenden Waberns, das sein Gehirn jetzt zunehmend in lähmenden Wogen durchflutete, darüber nach, ob es vielleicht trotzdem irgendwie in seiner Macht stehen könnte, sein Weib durch etwas Besonderes zu erfreuen. Unablässig räderte dieser Gedanke in seinem Kopf – bis ihn am Ende, ganz plötzlich, tödliche Müdigkeit übermannte, so daß er von einer Sekunde auf die andere einschlief.
    Am nächsten Morgen erwachte der Einödbauer in einer Stimmung, die ständig zwischen unerklärlicher Vorfreude und bedrückender Traurigkeit wechselte. Das zwiespältige Wesen des Wanderers schien, mental an ihm zerrend und reißend, von dem Alten Besitz ergriffen zu haben. Unruhig ging der Einöder in der Küchenstube auf und ab; irgendwann fiel sein Blick auf das Buch mit dem Ledereinband, das nach wie vor auf dem Eßtisch lag – und da wurde ihm unvermittelt wieder bewußt, was ihn tief in der Nacht innerlich umgetrieben hatte. Er entsann sich, daß er seiner Frau Dank schenken wollte; ihm aber völlig unklar war, wie dies geschehen könnte. Und kaum hatte er sich erinnert, befiel ihn die seelische Pein, die er schon in der Dunkelheit des ärmlichen Ehebetts verspürt hatte, von neuem; befiel ihn stärker denn je – und deshalb tat er etwas, das er absolut nicht hatte tun wollen: Wortlos und wie gehetzt, eine erschrockene Gebärde seines Weibes scheinbar übersehend, verließ er das Haus und hastete, der bedrohlich tief hängenden Wolken mit den schwefelgelben Rändern und einer in der Ferne wirbelnden Windhose nicht achtend, zu der sandverkrusteten Geländefurche mit ihren Faulwassertümpeln hinab, wo einstmals der Schwarze Regen dahingeströmt war.
    An einer Stelle des Flußbetts lag ein Felsrundling auf dem ausgetrockneten Grund; eine mächtige, doppelt mannshohe Kugel aus grauem Granit, die in Jahrhunderttausenden vom Gebirgswasser geformt worden war. Noch in der Kindheit und Jugend des Einödbauern hatten die Fluten diesen gewaltigen Rundling weich umspült, und der Alte konnte sich daran entsinnen, daß aus einer dünnen Gesteinsspalte oben auf der Felskuppe dunkelgrüne Farne gewachsen waren. Und nun, da der Einöder vor dem Granitrundling stand, erinnerte er sich auch an ein Abenteuer, das er als Halbwüchsiger erlebt hatte. Damals war er an dem Riesenstein emporgeklettert; hatte die Finger und Zehen in die Felsrisse gekrallt, hatte sich höher und höher geschoben. Und als es geschafft war, hatte er sich unter die breiten, geheimnisvoll duftenden Farnwedel gekauert und hatte von Urwäldern und Dschungeln geträumt; einen ganzen Nachmittag lang, bis die Mutter vom Hof her zum Abendessen gerufen hatte. Und als er daraufhin wieder nach unten geglitten und ins dunkle Flußwasser eingetaucht war, da hatte er die gurgelnde Flut wie die gefährliche Herausforderung eines von Krokodilen und Piranhas bevölkerten Tropenstromes empfunden; doch er hatte sich vom Unheimlichen nicht einschüchtern lassen und war durch metertiefes Wasser mutig ans Ufer geschwommen.
    Jetzt aber gab es rings um den Rundling nur noch knochentrockene, von der Hitze zusammengebackene Sandfladen sowie da und dort loses Geröll; nicht einmal ein schleimüberzogener, von Schmeißfliegen umsummter Tümpel lag in der Nähe. Daher konnte der Einödbauer die mächtige Granitkugel nun ohne Schwierigkeiten umschreiten, und während er der bauchigen Rundung des Steins langsam folgte, suchte er mit den Augen die Stelle, wo er einst hinaufgeklommen war. Als er sie wiederfand,

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