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Die Einöder

Die Einöder

Titel: Die Einöder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Böckl
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stellte sich vor, wie unbeschreiblich glücklich sie sein würde, wenn er ihr die unendlich wertvolle Gabe brachte. Und gleich darauf steigerte er seine eigene Vorfreude noch, indem er beschloß, seinem Weib nichts von seinem Plan zu erzählen. Er würde einfach aufbrechen und der Frau dadurch sogar Schmerz zufügen – aber um so größer würde dann ihr Entzücken sein, wenn er mit dem lebensspendenden Odem zu ihr heimkehrte.
    Unmittelbar nachdem er seinen Entschluß gefaßt hatte, stieg der Alte vom Rundling herab und ging beschwingt zur Hofstätte zurück. Die Luft war dünn wie eh und je, und die schwefelgelb geränderten Wolkentürme brüteten drückende Schwüle aus, doch das schien der Einöder jetzt kaum mehr zu spüren; vielmehr schritt er, wenn auch stoßartig keuchend, fast so rasch wie einst als junger Mann dahin.
    Bei der Eingangstür des Wohnhauses trafen die Eheleute aufeinander. Die Frau schleppte einen Korb, der mit mühsam ausgescharrtem Wurzelwerk gefüllt war; als ihr Gemahl zugriff, um ihr die Last zu erleichtern, seufzte sie dankbar. Wenig später, nachdem das Paar den Tragekorb in die Küchenstube gebracht und neben dem Tisch abgestellt hatte, verzichtete die Alte darauf, ihrem Mann Vorwürfe zu machen, weil er ihr an diesem Morgen zugemutet hatte, das harte Tagewerk allein zu tun.
    Die Frau ließ sich lediglich stöhnend auf ihrem Stuhl am Eßtisch nieder; ihr Gemahl hingegen blieb stehen, stemmte die schwieligen Fäuste auf die Tischplatte und starrte eine Weile wie abwesend vor sich hin, ehe er seinem Weib unvermittelt eröffnete: „Drei Tage werde ich den Heuschreck für dich sammeln. Danach muß ich dich für einige Zeit verlassen. Aber ich verspreche dir, daß ich wieder zu dir heimkommen werde!“
    Die Frau vermochte den Sinn dieser Sätze nicht wirklich zu begreifen. Die Arbeit des Wurzelgrabens und das Schleppen des schweren Korbes hatte sie dermaßen erschöpft, daß die Worte ihres Mannes nur rändig in ihr Bewußtsein drangen. Irgendwie freilich erahnte sie trotzdem das Wesentliche von dem, was ihr Gemahl ihr mitgeteilt hatte: Daß er sie aus irgendeinem Grund alleinlassen würde. Doch sie fühlte deshalb keine Enttäuschung und keinen Seelenschmerz, denn kurz zuvor noch hatte sie beim Ausscharren des Wurzelwerks auch keine Unterstützung durch ihn gehabt. Ganz auf sich gestellt, hatte sie nach den holzigen Strängen gegraben, dumpf und müde vor sich hin arbeitend – und ebenso dumpf und müde nahm sie nun die Ankündigung des Mannes auf.
    Langsam und unbeteiligt nickte die Alte. Dann bückte sie sich ächzend, holte eine Handvoll dünner Wurzeln aus dem Tragekorb, zerknickte sie eine nach der anderen, legte sie in den Steinmörser und griff nach dem Stößel, um die Holzstränge zu zerstampfen.
    Ihr Gemahl war es zufrieden. Er freute sich sogar über ihr Verhalten, und weil er an diesem Vormittag klarer als seit vielen Jahren zu denken vermochte, war er zu der durchaus logischen, wenn auch etwas verqueren Überlegung fähig: Wo kaum ein Verstehen ist, da gibt es auch keinen Schmerz.
    Danach malte sich der Einödbauer abermals aus, wie er nach Süden wandern und in der großen Donaustadt das Geschenk des Sauerstoffs erhalten würde, und er schwor sich, wie schon auf dem Granitrundling: Ich werde der Frau die Atemluft bringen, damit ihr Gesicht wieder jung und rosig wird und die Freude aus ihren Augen leuchtet! Doch zuerst, so dachte er weiter, muß ich den Heuschreck für sie jagen, denn sonst könnte es ihr an Nahrung mangeln, während ich weg bin. Aber dann, wenn ich ausreichend Essen für sie gesammelt habe, werde ich gehen!
    Im Verlauf der folgenden drei Tage hielt sich der Einöder fast ständig im ausgetrockneten Flußbett des Schwarzen Regen auf, und zuletzt hatte er so viele Insekten erjagt, daß er seinem Weib sagen konnte: „An dem Vorrat in den Beuteln wirst du für mehrere Wochen genug haben.“
    Wiederum nickte die von ihrer eigenen Tagesarbeit völlig erschöpfte Alte dumpf und ergeben, und bald darauf suchte das Paar sein ärmliches Nachtlager auf.
    Als die Frau eingeschlafen war, streichelte der Mann ihr schütteres graues Haar und anschließend, sehr sanft, ihre faltigen, ausgezehrten Brüste, und dabei stellte er sich vor, wie ihr Antlitz glücklich strahlen würde, sobald er erst mit dem Odem aus dem Tiefland zu ihr heimgekehrt wäre.

Die fünfte Vision
Der Gelbflankige
     
    Zu der Zeit, da der Einödbauer im Dunkel der Schlafkammer mit verstohlener

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