Die Einöder
Wanderers, warf sich herum und raste davon.
Völlig entkräftet, die dünne Luft mit krampfhaften Atemzügen einsaugend, blieb der Mann auf dem steinigen Pfad liegen; nur dumpf war ihm bewußt, daß er dem Raubtier den Unterkiefer ausgerenkt und es dadurch in die Flucht getrieben hatte. Endlich wurde der Atem des Wanderers ruhiger; er überwand seine Schwäche und richtete sich langsam auf. So gut er konnte, versorgte er seine von den Raubtierzähnen verletzte Rechte. Er spuckte auf die Bißwunde, leckte sie aus und hoffte dabei, daß der Speichel sie einigermaßen desinfizieren würde; dann schlang er einen Fetzen Stoff, den er von seinem Umhang gerissen hatte, um die Hand.
Den Rest der Nacht verbrachte der Buntgekleidete in einem halbhöhlenartigen Felsgeklüft am Saum des Steiges, wo er sich notdürftig geschützt fühlen durfte. Und als die Dunkelheit wich und das erste fahle Licht des neuen Tages über die kahlen Bergkämme im Nordosten fingerte, da hatte sich der Wanderer entschlossen, seinen Weg nach Norden nicht fortzusetzen und auch nicht zu versuchen, in die Schlucht hinabzuklettem, um nachzusehen, ob sich zwischen den verkohlten Trümmern seines Wägelchens noch etwas Brauchbares finden ließe.
Statt dessen schlug der Buntgekleidete, nachdem er aus dem Steingeklüft gekrochen war, wieder die Richtung nach Süden ein; nach Süden, wo in weiter Ferne das Tiefland lag – und während er mit schmerzhaft pochender Handwunde und mit schleppenden Schritten den uralten Saumpfad hinabstieg, wußte der Wanderer, daß selbst einer wie er in der wüsten und toten Gebirgsgegend hier oben nichts mehr zu hoffen hatte.
Die sechste Vision
Die Donaustadt
A m selben Morgen, da der vom Riesenluchs verwundete Wanderer aus seinem Felsunterschlupf kroch, machte sich auch der Einödbauer im halbverfallenen Anwesen am Schwarzen Regen zum Aufbruch fertig. Etwa eine Stunde nachdem das erste graue Tageslicht die steinkahlen Bergkuppen nordöstlich des ausgetrockneten Flußbetts aus der Finsternis geschält hatte, nickte der Einöder seinem Weib zu und hängte sich sodann einen alten, noch von seinem Vater stammenden Rucksack über die Schulter, in welchem sich ein Beutel mit gerösteten Heuschrecken befand. In dem zerschlissenen Rucksack wollte der betagte Mann den Odem von der Stadt in der Donauebene ins Gebirge herauftragen, und die Insekten sollten ihm unterwegs zur Nahrung dienen.
Mit einigen fahrigen Handgriffen vergewisserte sich der Einödbauer noch einmal, daß er alles bei sich hatte, was er brauchte; danach suchte er nach Worten, um sich von seiner Frau zu verabschieden, und murmelte schließlich: „Ich gehe jetzt… Bald komme ich zurück…“
Das Weib erwiderte nichts. Die Handlungen und die beiden dürren Sätze des Mannes schienen das Begriffsvermögen der Frau zu übersteigen; sie verzog den Mund lediglich auf eine Art, als wollte sie ihm einen weinerlichen Vorwurf machen – und dann, als er zur Tür ging, schaute sie ihm aus stumpfen Augen nach.
Während der Einöder zur toten Flußrinne hinabtappte, stand das Weib reglos am Fenster und blickte ihm stumm hinterdrein. Nach einer Weile, als der Mann jenseits des riesigen, in der verdorrten Niederung liegenden Granitrundlings verschwand, seufzte die Frau und dachte gleich darauf dumpf: Ich muß zum Brunnen… Wasser holen.
Eine Viertelstunde später, als sie den schweren Wasserkübel keuchend aus der Tiefe hochzog und ihn auf die Brunnenbrüstung hievte, war der Einödbauer bereits ein beträchtliches Stück von der Hofstätte entfernt. Obwohl ihm das Atmen wie stets schwerfiel und er keinen Morgenimbiß zu sich genommen hatte, schritt er kräftig aus. Sehnsucht nach dem Tiefland, wo das Leben noch nicht erloschen war, trieb ihn vorwärts; dies und dazu der Wunsch, seinem Weib das Geschenk des Odems bringen zu können.
Bis zum Mittag passierte der Alte verschiedene Abschnitte des ausgedörrten Flußbetts, die er gut kannte. Oft hatte er hier früher den Heuschreck gejagt, hatte sich an bestimmten, schattigen Plätzen von der Anstrengung des Insektensammelns erholt oder hatte sich Verstecke unter überhängenden Felsen gesucht, wenn einmal mehr eine jäh aufspringende Windhose durch das Tal des Schwarzen Regen gerast war.
Im Verlauf des Nachmittags sodann wurde dem einsamen Wanderer die Landschaft allmählich fremd, und zuletzt, als die matte, von schwefelfarbenen Wolken verhüllte Sonne schon im Untergehen begriffen war, mündete das Trockental, dem
Weitere Kostenlose Bücher