Die einsamen Toten
abgelegen. Hierher zu kommen ist für den Kohlenmann einfacher als für die Gasgesellschaft.«
Cooper versuchte es erneut an der Tür, aber es rührte sich immer noch nichts. Irgendwas stimmte da nicht. Leute, die der Polizei die Tür nicht öffneten, waren eine Herausforderung für ihn. Sie machten ihn neugierig.
»Dann gehen wir eben zu Nummer vier«, beschloss er. »Mr Scott Oxley.«
Cooper klopfte an der nächsten Tür. Für ihn sahen sie mittlerweile alle gleich aus. Scott von Nummer vier war ebenfalls nicht zu Hause.
Schulterzuckend drehte sich Cooper zu Udall um.
»Wir haben noch drei weitere Häuser«, sagte sie.
Da weder eine Mauer noch ein Zaun die Häuser Nummer drei und vier trennte, mussten die beiden Polizeibeamten nicht durch das Gartentor hinaus und den Weg entlang bis zum nächsten Haus gehen. Ungehindert hätten sie die paar Meter auf dem Plattenweg zurücklegen können. Aber dabei hätten sie am Eingang zu einem der dunklen Durchgänge vorbeigehen müssen. Für Cooper hatten sie nichts gemeinsam mit den schmalen Laubengängen, die er aus den Dörfern des White Peak kannte. Das waren heitere, kleine Pfade, gesäumt von luftigen Hecken und Bäumen, durch die man einen Blick in die Gärten anderer Leute oder auf von Blumen bewachsene Mäuerchen erhaschen konnte. Normalerweise führten sie an einen angenehmen, verlockenden Ort. Aber die dunklen, von dicken Mauern gesäumten Durchgänge der Waterloo Terrace waren alles andere als verlockend.
»Ich vermute, diese Passagen führen zu einer Art Gemeinschaftsgarten hinter den Häusern«, sagte Udall. »Keine Ahnung, was sie dort hinten alles verstecken.«
»Vielleicht wird uns das Mr Lucas Oxley verraten.«
Aber die Chancen standen schlecht. Auch an dessen Tür reagierte niemand auf Coopers Klopfen.
»Langsam habe ich das Gefühl, dass wir hier nicht erwünscht sind«, stellte er fest.
Und dann hörte er ein sehr leises Knurren, das fast schlagartig mit dem Klang seiner Stimme wieder abbrach, so dass er nicht sicher war, ob er es tatsächlich gehört hatte. Sein Kopf sagte nein, aber sein Gefühl sagte bedingungslos ja.
»Da könnten Sie Recht haben.«
Lucas Oxley stand genau in der Wölbung des Durchgangs, der zwischen Nummer eins und zwei verlief. Er trug denselben Anzug wie zwei Tage zuvor und auch denselben Hut. Die Schnauze des zottigen Schäferhundes zeichnete sich vor der Ziegelmauer ab, wo sich der Hund wahrscheinlich eng an das Bein seines Besitzers schmiegte. Die Augen des Hundes waren auf Cooper geheftet, und ein schmaler Speichelfaden tropfte aus seinem Maul auf den Weg.
Oxley hatte wieder so reglos dagestanden, dass Cooper ihn nicht bemerkt hätte, wäre nicht der Hund gewesen. Ein Mann, der sich ruhig verhalten, und ein Hund, der still sein konnte. Die beiden waren ein bedrohliches Gespann.
Lucas Oxley wirkte verärgert. Cooper überlegte kurz, ob er sich mehr über seinen Hund ärgerte, der ihn enttäuscht und sein Schweigen gebrochen hatte, oder über die unwillkommenen Besucher. Tracy Udall trat rasch ein paar Schritte zur Seite, um Abstand zwischen sich und Cooper zu legen und somit zwei Angriffsziele statt einem zu bieten. Zwischen den Polizisten und Oxley befand sich eine niedrige Ziegelmauer, die aber kein ernsthaftes Hindernis für den Hund war. Cooper konnte den Körper des Schäferhundes nicht sehen, nur den Kopf, hoffte aber, dass Oxley ihn wenigstens jetzt an der Leine hatte. Außerdem musste er höflich sein, bis die Situation andere Maßnahmen erforderte. Das waren die Regeln.
»Wir sind von der Polizei, Mr Oxley. Detective Constable Cooper und Police Constable Udall.«
»Sie waren doch schon mal da«, sagte Oxley misstrauisch.
Er warf Udall einen raschen Blick zu. Aus den Augenwinkeln konnte Cooper sehen, dass Udall eine Haltung eingenommen hatte, die nicht bedrohlich wirken sollte, die so genannte »Pater-Murphy-Variante«. Dabei zeigten ihre Handflächen nach vorne, ihr linker Fuß war leicht vorgestellt und ihr Körper halb zur Seite gedreht. Ihre Unterarme berührten jedoch leicht den Schlagstock und die Handschellen, die sie im Notfall unauffällig ziehen konnte. Sie war völlig automatisch in diese Haltung verfallen, die ihr durch die Ausbildung in Fleisch und Blut übergegangen war. Eine durchaus vernünftige Vorsichtsmaßnahme.
Doch Cooper war dieses Mal wesentlich entspannter. Er hatte den Hund schon erlebt und wusste, dass er bereits auf sie losgegangen wäre, wenn Lucas Oxley das gewollt hätte.
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