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Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)

Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition)

Titel: Die Einzige: In deinen Augen die Unendlichkeit (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jessica Khoury
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Stein.
    »Kommst du wieder?«, fragt er. »Bei Tageslicht? Du bist nicht wie die anderen Wissenschaftler, die kommen und uns herumkommandieren wollen und mit ihren Gewehren und Motorbooten angeben.« Er schnaubt verächtlich. »Wenn es uns nicht gäbe, wüssten eure Wissenschaftler nicht die Hälfte von dem, was sie über den Dschungel wissen. Aber du bist… noch jung und nicht so wie sie. Ich kann dir meine Sprache beibringen und ich kann dir Ai’oa zeigen.«
    Ich schlucke den Eiszapfen, der sich in meiner Kehle gebildet hat. »Ich… kann nicht, Eio.«
    »Wovor hast du solche Angst?« Er schaut mich herausfordernd an. Der Blick seiner blauen Augen dringt bis in mein Herz.
    Stumm wiederhole ich das Versprechen, das ich mir gegeben habe, Little Cam nie mehr zu verlassen, aber meine Gedanken geraten durcheinander und ich kann nur noch an den Jaguar aus Jade denken, den Eio um den Hals trägt. Die Worte kommen ganz von alleine aus meinem Mund: »Okay… ich komme wieder.«
    Langsam breitet sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus und man sieht seine wunderschönen weißen Zähne. Er nickt, wendet sich Alai zu, verbeugt sich tief und sagt: »Leb wohl, Wächter.«
    Dann ist er weg, verschwunden wie Rauch in der von Mondlicht beschienenen Nacht.

9
    Als ich am nächsten Morgen auf den von Onkel Paolo zusammengestellten Stundenplan für diese Woche schaue, muss ich unwillkürlich lächeln. Statt des üblichen Unterrichts bei Onkel Antonio soll ich heute bei Onkel Will im Insektenzimmer arbeiten. Aber es hätte mir auch nichts ausgemacht, wenn da gestanden hätte, ich solle den Griesgram baden. Nach dem Abenteuer von letzter Nacht – ich kann es immer noch nicht glauben und es macht mir auch ein bisschen Angst, dass es überhaupt passiert ist – fühle ich mich wie benommen und gleichzeitig aufgekratzt. Es kommt mir irgendwie unwirklich vor, und wäre da nicht die Passionsblume, die ich in meiner Nachttischschublade versteckt habe, würde ich die Erinnerung vielleicht als einen wilden, besonders lebhaften Traum abtun. Bevor ich mein Zimmer verlasse, werfe ich noch einen kurzen Blick auf die Blüte, nur um mich zu vergewissern, dass sie tatsächlich da ist. Bei ihrem Anblick flattern Schmetterlinge in meinen Bauch auf und ich frage mich, was der Grund dafür ist: weil sie von draußen kommt – oder weil Eio sie mir geschenkt hat.
    Das entomologische Labor ist in Block A untergebracht und überall stehen Regale voller Insekten. Schmetterlinge, Spinnen, Raupen – egal, was du suchst, Onkel Will hat es. Je größer und ekliger die Viecher, desto lieber sind sie ihm. Mit seiner Liebe für diese Tiere steht Onkel Will allerdings ziemlich allein da. Alle anderen in Little Cam versuchen sein Labor möglichst zu meiden. Ich finde es nicht so schlimm. Es gibt nur ein Exemplar in seiner Sammlung, für das ich nichts übrig habe, und ich hoffe, dass wir es heute beim Unterricht nicht brauchen.
    Onkel Will schaut von seinem Mikroskop auf, als ich den Raum betrete, und schenkt mir ein kurzes Lächeln.
    »Pia«, sagt er, und das ist auch schon alles. Mein Vater ist der stillste Mensch in Little Cam. Nur selten ist er in der Lounge oder im Fitnessraum zu finden. Er zieht das Alleinsein vor. Unter den Bewohnern haben sich diverse Cliquen gebildet, doch ich habe noch nie mitbekommen, dass Onkel Will irgendeiner davon angehört. Er scheint sich in der Gesellschaft von Insekten wohler zu fühlen als in der von Menschen. Manchmal stelle ich mir vor, wie eines Tages alle Little Cam verlassen, zurückgehen in die Welt da draußen und die Gebäude leer und dunkel zurücklassen. Nur Onkel Will nicht. Ich kann ihn mir nirgendwo anders vorstellen als genau da, wo er jetzt ist. Auch wenn alle anderen weg sind, ist er immer noch da und steckt tote Käfer auf Styropor.
    »Onkel Paolo hat mich hergeschickt, damit du mir etwas beibringst. Hat er es dir nicht gesagt?«
    Onkel Will nickt geistesabwesend. Er ist bereits wieder ganz auf sein Mikroskop konzentriert. Ich setze mich auf einen Metallhocker und warte. Der blaue Polsterbezug der Sitzfläche hat Risse und gelber Schaumstoff quillt heraus.
    Nach etlichen Minuten schaut Onkel Will wieder auf. »Pia.«
    »Hm… ja?«
    »Heute beschäftigen wir uns mit meinem kleinen Liebling.« Er öffnet den Deckel eines Terrariums und holt die grässlichste Kreatur in ganz Little Cam heraus. Der Käfer ist größer als meine Hand, hat einen glänzenden schwarzen Panzer und ein Paar gefährlich aussehende

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