Die einzige Wahrheit
Richterin zu. »Ich hätte gern mehr Zeit, mich vorzubereiten, Euer Ehren.«
Die Richterin hob die Augenbrauen. »Das hätten wir wohl alle gern, Ms. Hathaway«, bemerkte sie trocken. »Tut mir leid, aber Sie stehen für heute in dreieinhalb Wochen auf der Prozeßliste, und das hier ist Ihre Entscheidung.«
Mit einem knappen Nicken sammelte Ellie ihre Sachen zusammen und stürmte aus dem Richterzimmer. Zurück blieben ein Staatsanwalt und eine Richterin, die sich beide fragten, was da eben eigentlich vorgefallen war.
Ellie hastete aus dem Richterzimmer und durch die Gänge des Gerichtsgebäudes. Sie lief durch die Eingangstür nach draußen und starrte die düsteren, kahlen Äste der Bäume und den bedeckten Himmel an. Sie hatte absolut keine Ahnung, was sie als nächstes tun sollte. Ihr Verstand arbeitete wie fieberhaft – und das war gut so, da sie in weniger als einem Monat eine Verteidigungsstrategie entwickelt haben mußte, die das genaue Gegenteil von dem war, was sie eigentlich geplant hatte.
Sie stellte ihre Aktentasche ab und setzte sich langsam auf die Stufen vor dem Gericht. Dann fragte sie sich, wie sie jetzt noch gewinnen sollte, wo sie so viel kostbare Zeit verloren hatte.
Ellie brauchte eine halbe Stunde, um Jacob aufzuspüren, der die Nacht in Lancaster County verbracht hatte – aber nicht im Haus seiner Eltern. Leda öffnete auf Ellies Klopfen hin die Tür, ein Lächeln auf dem Gesicht, doch Ellie schob sich sofort an ihr vorbei, den Blick auf den jungen Mann gerichtet, der vor dem Kühlschrank stand und direkt aus einer Milchpackung trank. »Sie Mistkerl«, knurrte sie.
Jacob fuhr heftig zusammen. »Was?«
»Sie sollten mir helfen, verdammt. Sie sollten mir alles erzählen, was Ihrer Schwester vor Gericht nützen könnte.«
»Hab ich doch!«
»Und was ist mit Adam Sinclair?«
Leda trat einen Schritt vor, um Ellie zu besänftigen, doch Ellie sah gerade noch an dem Glimmen in Jacobs Augen, daß sie ins Schwarze getroffen hatte. Er beruhigte seine Tante, und dann sah er Ellie an. »Was ist mit Adam?«
»Er war Ihr Mitbewohner?«
»Und er ist mein Vermieter.«
Ellie verschränkte die Arme. »Und er war der Vater von Katies Kind.«
Jacob achtete nicht auf den erschreckten Laut, den Leda von sich gab. »Ich wußte es nicht, Ellie. Ich hatte bloß einen Verdacht.«
»Es wäre schön gewesen, wenn ich von diesem Verdacht erfahren hätte, vor etwa – na, sagen wir drei Monaten. Verdammt, gibt es denn überhaupt keinen, der mir vor Prozeßbeginn mal reinen Wein einschenkt?«
»Ich dachte, ihr wolltet auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren?« sagte Leda.
»Darüber unterhalte dich mit deiner Nichte.« Ellie wandte sich Jacob zu. »Ich weiß bloß, daß sie gestern abend mit Ihnen einen Spaziergang gemacht hat und sich anschließend auf einmal nicht mehr so von mir verteidigen lassen will, wie ich es für richtig halte. Was zum Teufel haben Sie ihr gesagt?«
Jacob schloß die Augen. »Ich habe gar nicht über sie gesprochen«, sagte er. »Ich habe über mich gesprochen.«
Ellie spürte, daß sie Kopfschmerzen bekam. »Weiter.«
»Ich habe Katie erklärt, daß ich aus dem gleichen Grund zurückgekommen bin, aus dem ich weggegangen bin – ich konnte nicht mit einer Lüge leben. Ich konnte nicht zulassen, daß die Leute so tun, als wäre ich jemand, der ich in Wirklichkeit gar nicht bin. Vor sechs Jahren war Studieren mein größter Wunsch, aber ich ließ die Leute in dem Glauben, daß ich mit einem amischen Leben zufrieden war. Und jetzt bin ich Dozent an der Uni, aber nichts fehlt mir mehr als meine Familie.« Er sah Ellie bekümmert an. »Als Hannah ertrank, hab ich gedacht, es wäre meine Schuld gewesen. Ich hätte aufpassen müssen, aber ich hab mich im Stall verkrochen und gelesen. Ich hab zu Katie gesagt, daß ich nun zum zweiten Mal erlebe, wie meine Schwester untergeht – aber diesmal ist sie die Schwester, und diesmal hab ich vertuscht, was passiert ist, als sie bei mir zu Besuch war.«
»Dann wußten Sie also, daß sie schwanger geworden ist, als –«
»Ich habe es nicht gewußt. Ich habe es vermutet, nachdem ich mit Ihnen und der Ermittlerin der Staatsanwaltschaft gesprochen hatte.« Er schüttelte den Kopf. »Ich wollte doch nicht, daß Katie mich so wörtlich nimmt. Ich wollte ihr meinen Standpunkt näher bringen.«
»Na, das ist Ihnen gelungen«, sagte Ellie knapp. »Jetzt hat sie sich ihren ehrlichen Bruder zum Vorbild genommen. Sie will im Zeugenstand die Beichte
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