Die einzige Wahrheit
seinen Schoß.
»Na, na, was würde Dr. Freud dazu sagen?« murmelte sie.
Coop veränderte seine Sitzposition, seine Erektion drückte gegen ihre Beine. »Daß eine Zigarre nicht immer eine Zigarre ist.« Er stöhnte leise auf, dann schob er sie in den Sessel, stand auf und ging auf und ab. »Ich hab bloß zehn Minuten Zeit, bevor der nächste Patient kommt, und da möchte ich das Schicksal lieber nicht herausfordern.« Er schob die Hände in die Taschen. »Welchem Umstand verdanke ich deinen Besuch?«
»Ich hatte auf eine kurze Gratisbehandlung gehofft«, gestand Ellie.
»Darauf würde ich später gerne zurückkommen –«
»Ich meinte eine medizinische Beratung, Coop. In meinem Kopf herrscht das reinste Chaos.« Sie vergrub das Gesicht in den Händen. »Ich plädiere nicht mehr auf Unzurechnungsfähigkeit.«
»Wieso nicht?«
»Weil es gegen ihren Moralkodex verstößt«, sagte Ellie sarkastisch. »Du glaubst ja nicht, wie froh ich bin, daß ich die erste mutmaßliche Mörderin in der Geschichte der Rechtsprechung verteidigen darf, deren Ethik einfach unerschütterlich ist.« Sie stand auf und ging zum Fenster. »Katie hat mir erzählt, wer der Vater des Kindes ist – ein Kollege von Jacob, der nie von der Schwangerschaft erfahren hat. Und jetzt, wo sie diese neue Ehrlichkeit an den Tag legt, will sie nicht mehr, daß ich vor Gericht sage, daß sie dissoziiert und das Kind getötet hat, weil das, wie sie schwört, nicht wahr ist.«
Coop pfiff durch die Zähne. »Und du konntest sie nicht davon überzeugen –«
»Ich konnte gar nichts machen. Ich hab es hier mit einer Mandantin zu tun, die nicht begreift, wie ein Gericht funktioniert. Katie glaubt felsenfest daran, daß ihr verziehen wird, wenn sie ihre Geschichte erzählt. Und wieso sollte sie das auch nicht glauben? In ihrer Gemeinde läuft es so.«
»Mal angenommen, es ist die Wahrheit, daß sie das Kind nicht getötet hat«, sagte Coop.
»Nun, es gibt aber auch noch ein paar andere unbestreitbare Wahrheiten. Zum Beispiel die Tatsache, daß das Baby lebend zur Welt gekommen ist und daß es tot und versteckt aufgefunden wurde.«
»Okay. Welche Möglichkeit bleibt dir?«
Ellie seufzte. »Jemand anders hat es getötet – was, wie wir schon besprochen haben, als Verteidigung praktisch chancenlos ist.«
»Oder das Baby ist eines natürlichen Todes gestorben.«
»Und post partum zur Sattelkammer spaziert, um sich unter einem Stapel Decken zu verstecken?«
Coop lächelte schwach. »Wenn Katie das Kind wollte und es beim Aufwachen tot vorfand, hat sie vielleicht genau an diesem Punkt den Kontakt zur Realität verloren. Vielleicht hat sie den Leichnam im dissoziativen Zustand versteckt und kann sich deshalb nicht mehr daran erinnern.«
»Die Verschleierung eines Todesfalles ist auch ein Gesetzesverstoß, Coop.«
»Aber kein annähernd so gravierender«, bemerkte er. »Der Versuch, sich den Tod eines geliebten Menschen nicht bewußt einzugestehen, hat etwas Mitleiderregendes an sich, das wegfällt, wenn man diesen Tod selbst herbeigeführt hat.« Er zuckte die Achseln. »Ich bin kein Anwalt, El, aber mir scheint, du hast nur eine Möglichkeit – daß das Baby eines natürlichen Todes gestorben ist und daß Katies Psyche genau das verheimlichen wollte. Und dafür mußt du einen Sachverständigen aus dem Hut zaubern, der den Obduktionsbericht anders auslegt. Ich meine, sie hatte eine Frühgeburt. Welches Frühchen kommt ohne Brutkasten und Wärme und Intensivstation durch?«
Ellie ließ sich diese mögliche Strategie durch den Kopf gehen, aber ihre Gedanken blieben immer wieder an etwas hängen. Angefangen bei dem Autopsiebericht waren bisher alle davon ausgegangen, daß Katie in der zweiunddreißigsten Woche entbunden hatte. Und niemand – auch Ellie nicht – war auf die Idee gekommen, das zu hinterfragen. »Wieso?« fragte sie jetzt.
»Wieso was?«
»Wieso hat Katie, eine gesunde Achtzehnjährige, die körperlich in besserer Form ist als die meisten Frauen in ihrem Alter, vorzeitig Wehen bekommen?«
Dr. Owen Zeigler hob den Kopf, als Ellie ihn zum zehnten Mal mit einem geräuschvollen Biß in einen weiteren Kartoffelchip ablenkte. »Wenn Sie wüßten, wie schlecht die für Ihre Gesundheit sind, würden Sie sie nicht essen«, sagte er.
»Wenn Sie wüßten, wann ich das letzte Mal was gegessen habe, würden Sie das nicht sagen.« Ellie sah, wie er sich wieder über den Autopsiebericht beugte. »Also?«
»Also. Die Frühgeburt ist an und für
Weitere Kostenlose Bücher