Die einzige Wahrheit
ihnen der Sozialversicherungsbeitrag automatisch vom Gehalt abgezogen, und sie verbrauchen keinen Penny davon. Die Amischen zahlen keine Energiesteuer, aber sie zahlen Grundsteuern, womit öffentliche Schulen finanziert werden, die sie nicht nutzen. Außerdem erhalten sie keinerlei öffentliche Subventionen für Agrarbetriebe, keine Sozialleistungen und keine Ausbildungsförderung.« An die Richterin gewandt sagte ich: »Das ist ja gerade mein Argument, Euer Ehren. Wenn schon die Anklagevertretung mit falschen Urteilen über die Amischen an diesen Fall herangeht, wie groß ist das Problem dann erst bei zwölf herkömmlichen Geschworenen?«
Die Richterin strich sich über den Nasenrücken. »Wissen Sie, Ms. Hathaway, ich habe wirklich gründlich über Ihren Antrag nachgedacht. Die Vorstellung, daß ein amerikanischer Staatsbürger nur aufgrund seiner religiösen Zuordnung um ein faires Verfahren gebracht werden könnte, beunruhigt mich sehr. Was Sie in Ihrer Antragsbegründung dargelegt haben, ist absolut berechtigt.«
»Danke, Euer Ehren.«
»Bedauerlich für Sie und Ihre Mandantin ist allerdings, daß auch Mr. Callahans Gegenargumente absolut berechtigt sind. Es geht hier um eine Mordanklage, nicht um den Diebstahl, eines Päckchens Kaugummi. Einen Prozeß dieser Größenordnung einzustellen wäre unverantwortlich. Und auch wenn wir mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen können, daß unter den Geschworenen keine amische Person sein wird, müssen wir doch der Tatsache ins Auge sehen, Ms. Hathaway, daß das an jedem anderen Gericht in den USA ebenso der Fall wäre. Das Gericht hier in Lancaster County hat für Ihre Mandantin zumindest einen Vorteil: Die Geschworenen sind zwölf Menschen, die in dieser Gemeinde tagtäglich mit den Amischen zusammen leben und arbeiten, zwölf Menschen, die, so steht zu hoffen, etwas mehr über ihre amischen Nachbarn wissen als der Durchschnitt der amerikanischen Bevölkerung.« Sie sah mir in die Augen. »Ich werde Ihren Antrag auf Einstellung des Verfahrens ablehnen, Ms. Hathaway, aber ich danke Ihnen, daß Sie dieses kontroverse Thema angeschnitten haben.« Die Richterin legte die Hände auf die Schreibtischplatte. »Wenn sonst nichts weiter anliegt, würde ich jetzt gerne den Termin für die Auswahl der Geschworenen festsetzen.«
»Dreieinhalb Wochen«, sagte ich und breitete das Laken über das Bett in Elams Groossdaadi-Haus . »Dann beginnt der Prozeß.«
Sarah stopfte das Laken auf der anderen Seite unter die Matratze und atmete erleichtert auf. »Ich kann es kaum erwarten, bis es vorbei ist. Sie blickte besorgt zu Katie hinüber. »War es schlimm dabeizusein?«
»Katie hat während der Anhörung vor dem Richterzimmer gewartet. In der Verhandlung wird sie neben mir am Tisch der Verteidigung sitzen. Der Ankläger wird gar keine Gelegenheit haben, Sie zu verunsichern, weil sie nicht in den Zeugenstand gerufen wird. Das war auch ein Grund, warum wir beschlossen haben, auf Unzurechnungsfähigkeit zu plädieren.«
Katie war gerade damit fertig, das letzte Kissen frisch zu beziehen. Bei meinen letzten Worten stieß sie einen Laut aus, so leise, daß ich mich wunderte, wieso Sarah und ich ihn überhaupt gehört hatten. »Hör doch auf. Hör doch bitte einfach auf.« Mit einem gequälten Stöhnen machte sie auf dem Absatz kehrt und lief hinaus.
Sarah raffte ihre Röcke und wollte ihr hinterherlaufen, aber ich hielt sie fest. »Bitte«, sagte ich sanft. »Laß mich.«
Zuerst sah ich sie nicht, so klein hatte sie sich im Schaukelstuhl zusammengerollt. Ich schloß die Tür, setzte mich auf mein Bett und wandte eine Strategie an, die ich von Coop gelernt hatte – ich sagte gar nichts und wartete nur. »Ich kann das nicht«, sagte sie, das Gesicht noch immer gegen ihre Knie gepreßt. »Ich kann so nicht leben.«
Ich war hellwach. Als Verteidigerin hatte ich diese Worte schon so oft gehört – und normalerweise folgte ihnen ein herzzerreißendes Geständnis. Wenn Katie mir jetzt erzählte, daß sie das Baby kaltblütig ermordet hatte, würde ich nach wie vor auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren, um sie freizubekommen – aber ich wußte auch, daß ich sehr viel härter für sie kämpfen würde, wenn ich glauben konnte, daß sie – aus welchem Grund auch immer – wirklich nicht wußte, was in jener Nacht passiert war. »Katie«, sagte ich, »erzähl mir nichts.«
Sie horchte auf. »Erst bedrängst du mich monatelang, und jetzt sagst du so was?«
»Erzähl es Coop, wenn
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