Die einzige Wahrheit
Geschworenen sowohl sie als auch mich ansahen. »Ich werde Ihnen vor Augen führen, warum die Amischen nicht morden. Und vor allem werde ich Katie Fisher die Wahrheit sagen lassen.«
13
N iemals hätte Lizzie Munro sich träumen lassen, eines Tages gegen eine amische Mordverdächtige auszusagen. Das Mädchen saß am Tisch der Verteidigung, neben ihrer energischen Anwältin, den Kopf gesenkt, die Hände gefaltet, wie eines von diesen kitschigen Figürchen, mit denen Lizzies Mutter gern ihre Fensterbänke verunstaltete. Lizzie fand sie abscheulich – die zuckersüßen Engelchen, die rehäugigen Hirtenjungen, einfach unerträglich. Und bei Katie Fishers Anblick ging es Lizzie ähnlich, sie konnte kaum hinsehen.
Statt dessen konzentrierte sie sich auf George Callahan, der in seinem eleganten dunklen Anzug vor ihr stand. »Würden Sie uns Ihren Namen und Ihre Adresse nennen?« sagte er.
»Elizabeth Grace Munro. 1313 Grand Street, Ephrata.«
»Was machen Sie beruflich?«
»Detective-Sergeant bei der Polizei von East Paradise.«
George hätte diese Fragen eigentlich gar nicht mehr stellen müssen; sie hatten diese Eröffnung schon so oft zusammen durchgespielt, daß sie genau wußte, was als nächstes kam. »Wie lange sind Sie schon Detective?«
»Seit sechs Jahren. Davor war ich fünf Jahre lang Streifenbeamtin.«
»Können Sie uns etwas über Ihre Arbeit erzählen, Detective Munro?«
Lizzie lehnte sich zurück – sie fühlte sich wohl im Zeugenstand. »Ich untersuche überwiegend Strafdelikte.«
»Wie viele sind das so grob geschätzt pro Jahr?«
»Na ja, im vergangenen Jahr waren es rund fünfzehntausend, davon aber nur eine Handvoll schwerer Fälle – überwiegend haben wir es mit kleineren Vergehen zu tun.«
»Wie viele Morde sind im vergangenen Jahr geschehen?«
»Keiner«, antwortete Lizzie.
»Haben Sie beruflich öfter mit amischen Familien zu tun?«
»Nein«, sagte sie. »Die Amischen verständigen die Polizei, um einen Diebstahl zu melden oder wenn ihr Eigentum beschädigt wurde, und gelegentlich müssen wir einen amischen Jugendlichen wegen Trunkenheit oder Ruhestörung aufgreifen, aber im großen und ganzen haben sie so gut wie nie mit der örtlichen Polizei zu tun.«
»Detective, schildern Sie uns nun bitte, was am Morgen des zehnten Juli geschehen ist.«
Lizzie nahm auf ihrem Stuhl Haltung an. »Ich war auf dem Revier, als jemand anrief und den Fund eines leblosen Kindes in einem Stall meldete. Ein Rettungswagen war schon unterwegs, und ich fuhr dann auch raus.«
»Schildern Sie bitte die Situation, als Sie vor Ort eintrafen.«
»Es war etwa zwanzig nach fünf, kurz vor Sonnenaufgang. Der Stall gehörte einem amischen Milchfarmer. Er, sein Vater und zwei Mitarbeiter waren noch im Stall beim Melken. Ich habe den Fundort gesichert. Dann ging ich in die Sattelkammer, wo der Leichnam gefunden worden war, und sprach mit den Sanitätern. Sie sagten, das Baby sei eine Frühgeburt und daß es ihnen nicht gelungen sei, es wiederzubeleben. Ich nahm die Namen der vier amischen Männer auf: Aaron und Elam Fisher, Samuel Stoltzfus und Levi Esch. Ich fragte, ob sie irgend etwas Verdächtiges bemerkt und im Stall irgend etwas angefaßt hätten. Der jüngste von ihnen, Levi, hatte das Kind entdeckt. Er hatte nichts angefaßt, außer ein paar Pferdedecken, unter denen das tote Neugeborene, das in ein Hemd eingewickelt war, gelegen hatte. Aaron Fisher, der Besitzer der Farm, gab an, daß eine Schere verschwunden sei, die zum Schneiden von Strohkordel benutzt wurde und sonst immer an einem Haken in der Nähe des Kälberverschlages gehangen habe. Alle vier Männer sagten, sie seien allein im Stall gewesen und daß auf der Farm keine Frau schwanger gewesen sei.
Danach suchte ich in den Verschlägen nach Spuren. Außerdem wurden Beamte der Abteilung für Kapitalverbrechen der State Police angefordert. Es war unmöglich, Fingerabdrücke von den groben Holzbalken und dem Stroh zu nehmen, und die Teilabdrücke, die gefunden wurden, stammten von den Familienmitgliedern, die im Stall gearbeitet hatten.«
»Hatten Sie da schon irgendeinen Verdacht?«
»Nein. Ich hab nur vermutet, daß das Kind ausgesetzt worden war.«
George nickte. »Bitte erzählen Sie weiter.«
»Schließlich fanden wir die Stelle, wo die Geburt stattgefunden hatte – in einer Ecke des Kälberverschlages war frisches Stroh aufgeschüttet worden, um verklebtes Blut abzudecken. An der Stelle, wo der Leichnam gefunden worden war, entdeckten
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