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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Fisher sie kommen sah, hielt er sein Maultiergespann an.
    »Falls Sie den Weg nach Hause suchen«, sagte Fisher süffisant, »da geht’s lang.« Er zeigte auf die Landstraße.
    Lizzie bleckte die Zähne. Hielt der Mann sich für einen Komiker? »Danke, aber ich hab gefunden, was ich suche.«
    Das saß. Lizzie ließ ihn einen Moment schmoren, damit er sich all die gräßlichen Einzelheiten ausmalen konnte, die bei einer Morduntersuchung möglicherweise ans Licht kamen. »Und das wäre, Detective?«
    »Sie.« Lizzie schirmte die Augen gegen die Sonne ab. »Hätten Sie vielleicht eine Minute Zeit?«
    »Ich habe viele Minuten Zeit, die ich alle für ein und denselben Zweck nutze.« Er schnalzte mit der Zunge, die Maultiere setzten sich in Bewegung, und Lizzie joggte neben ihm her, bis Aaron wieder anhielt.
    »Verraten Sie mir den?«
    »Meine Farm zu bewirtschaften«, sagte Aaron. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen –«
    »Ich könnte mir denken, daß Sie vielleicht doch gern ein paar Sekunden Ihrer kostbaren Zeit opfern würden, um Ihre Tochter vor dem Gefängnis zu bewahren, Mr. Fisher.«
    »Meine Tochter wird nicht ins Gefängnis gehen«, erwiderte er stur.
    »Diese Entscheidung liegt nicht bei Ihnen.«
    Der Farmer nahm seinen Hut ab. Er sah plötzlich müde aus und viel älter, als Lizzie gedacht hatte. »Sie liegt auch nicht bei Ihnen, sondern bei unserem Herrn. Ich vertraue auf Sein Urteil, genau wie meine Tochter das tut. Und nun, guten Tag.« Er schlug leicht mit den Zügeln, die Maultiere zogen mit einem Ruck an, und der Pflug grub sich ächzend durch die Erde.
    Lizzie sah ihm nach. »Dein Pech, daß Gott nicht einer der Geschworenen ist«, murmelte sie und machte sich auf den langen Rückweg zum Farmhaus.
    Ellie wischte die letzten Reste des Gurkengewürzes vom Tisch. Es war unerträglich heiß in der Küche – Gott, was hätte sie nicht alles für eine Klimaanlage oder auch nur einen Ventilator gegeben –, aber sie hatte Sarah versprochen, wenigstens ordentlich sauber zu machen, wo sie schon nicht bis zum Schluß mitgeholfen hatte, weil sie Katie trösten mußte.
    Welche Schlußfolgerungen konnte sie aus dem Gespräch mit Katie ziehen? In ihre Gedanken kam allmählich Ordnung, Antworten nahmen nach und nach Gestalt an – Katies selektive Amnesie, ihr Verdrängen der Schwangerschaft und der Geburt, Samuels fassungsloser Gesichtsausdruck, als sie zuletzt mit ihm gesprochen hatte. Zum erstenmal seit ihrer Ankunft auf der Farm empfand Ellie nicht Abscheu bei dem Gedanken an die Kindstötung, die Katie begangen hatte, sondern Mitleid.
    Als Verteidigerin hatte sie schon öfter Mandanten vertreten, die schreckliche Verbrechen begangen hatten, aber unwillkürlich hatte sie stets noch härter gearbeitet, wenn sie die Gründe für die Taten einigermaßen nachvollziehen konnte. Die Frau, die ihren schlafenden Mann ermordet hatte, war weniger monströs, wenn man bedachte, daß der Mann sie dreißig Jahre lang mißhandelt hatte. Der Vergewaltiger mit der Hakenkreuztätowierung auf dem Nasenrücken war weit weniger beängstigend, wenn man in ihm den kleinen Jungen sah, der von seinem Stiefvater mißbraucht wurde. Und der jungen amischen Frau, die ihr Neugeborenes tötete, konnte man zwar nicht vergeben, aber man konnte sie zweifellos verstehen, wenn der Kindsvater sie zum Sex gezwungen hatte.
    Andererseits war das der letzte Nagel zu Katies Sarg. Wenn man nach einem Motiv suchte, war es durchaus vorstellbar, daß eine junge Frau das Kind töten wollte, das sie durch eine Vergewaltigung empfangen hatte. Was wiederum bedeutete, daß Ellie – so groß ihr Mitgefühl mit Katie auch war und so sehr sie hoffte, ihr helfen zu können – das Wort Vergewaltigung vor Gericht nicht in den Mund nehmen würde.
    Ellie drückte den Schwamm im Spülbecken aus. Sie fragte sich, ob Katie sich ihr jetzt wohl anvertrauen würde. Sie fragte sich, ob sie noch einmal nach oben gehen sollte, damit Katie nicht allein aufwachte.
    Als sie hinter sich die Tür aufgehen hörte, drehte Ellie das Wasser ab und trocknete sich die Hände an der Schürze ab, die Sarah ihr geliehen hatte. »Ich bin froh, daß du wieder da bist«, sagte sie mit dem Rücken zur Tür.
    »Ich muß schon sagen, das überrascht mich.«
    Ellie fuhr herum und sah nicht Sarah, sondern Lizzie Munro in der Küche stehen. Der Blick der Polizistin wanderte von Ellies schweißnassem Haar hinunter zur Schürze.
    Ellie verschränkte die Arme und versuchte, so würdig auszusehen, wie

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