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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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ihres Kindes war.«

8
Ellie
M ein Lieblingsplatz auf der Farm war die Milchkammer. Dank des Kühltanks war die Temperatur angenehm, selbst zu den heißesten Tageszeiten. Es roch nach Eiscreme und Winter, und mit ihren weißen Wänden und dem peinlich sauberen Boden war sie ideal zum Nachdenken. Sobald mein Laptop wieder Strom hatte, nahm ich ihn mit in die Milchkammer, um zu arbeiten.
    Dort fand Leda mich, als sie mich besuchte, nachdem ich schon zehn Tage lang offiziell auf der Farm der Fishers wohnte. Mir fielen als erstes ihre Sandalen auf. Die amischen Frauen, die keine Stiefel trugen, hatten die häßlichsten Sportschuhe an den Füßen, die mir je unter die Augen gekommen waren, vermutlich Billigware. »Das wurde aber auch Zeit«, sagte ich.
    »Ich konnte nicht früher kommen, und das weißt du auch«, sagte Leda.
    »Aaron hätte es überlebt.«
    »Nicht wegen Aaron. Wegen dir. Wenn ich dich nicht im Regen stehengelassen hätte, wärst du doch heimlich bei mir in den Kofferraum geklettert.«
    Ich schnaubte. »Na, dann wird es dich begeistern, daß ich sogar im Schlamm steckengeblieben bin, beinahe von einer Kutsche überfahren und um ein Haar von einem Kalb angepinkelt worden wäre.«
    Lachend lehnte Leda sich gegen die Edelstahlspüle. »Wie ich höre, ist Katie wieder gesund.«
    Ich nickte. Katie war am Vortag untersucht worden, und die Gynäkologin hatte erklärt, daß der Heilungsprozeß gut verlief. Physisch würde sie wieder ganz gesund werden. Psychisch – das blieb abzuwarten.
    Ich speicherte die Datei, an der ich gearbeitet hatte, und nahm die Diskette heraus. »Du kommst wie gerufen. Du mußt für mich eine Datei ausdrucken und bei Gericht abgeben.«
    »Ich staune ja schon, daß du hier überhaupt einen Computer hast. Hat Aaron sich sehr aufgeregt?«
    »Der Bischof hat ihm die Entscheidung abgenommen. Er hilft Katie, wo er nur kann.«
    »Ephram ist ein guter Mensch«, sagte Leda gedankenverloren. »Er war sehr freundlich zu mir, als ich exkommuniziert wurde. Es war sehr wichtig für Aaron und Sarah, daß er zur Beerdigung des Babys gekommen ist.«
    Ich schaltete den Computer aus und zog den Stecker. »Wieso haben sie die Beerdigung veranlaßt?«
    Leda zuckte die Achseln. »Weil sie sich für das Baby verantwortlich fühlten.«
    »Es war Katies.«
    »Viele Amische lassen für ein totgeborenes Kind einen Trauergottesdienst abhalten.« Sie zögerte, sah mich dann an. »Das steht auch auf dem Grabstein – totgeboren. Ich vermute, das war die einzige Möglichkeit für Aaron und Sarah, mit dem, was geschehen ist, leben zu können.«
    Ich dachte an ein Mädchen, das vielleicht vergewaltigt worden war und die Tat und die Folgen verdrängt hatte – einschließlich einer Schwangerschaft. »Leda, nach Meinung des Gerichtsmediziners war das Kind keine Totgeburt.«
    »Nach Meinung der Staatsanwaltschaft hat Katie das Kind getötet. Und das glaube ich auch nicht.«
    Ich scharrte mit dem Fuß über den Zementboden der Milchkammer und überlegte, wieviel ich ihr anvertrauen sollte. »Sie könnte es getan haben«, sagte ich behutsam. »Ich lasse einen Psychologen kommen, der mit ihr reden soll.«
    Leda riß die Augen auf. »Einen Psychologen?«
    »Katie streitet nicht nur die Schwangerschaft und die Geburt ab, sondern auch die Empfängnis. Ich frage mich, ob sie nicht vielleicht vergewaltigt worden ist.«
    »Samuel ist so ein netter Junge, er –«
    »Das Kind war nicht von Samuel. Er hat nie mit Katie geschlafen.« Ich trat einen Schritt vor. »Versteh doch, das hat nichts mit der Verteidigung zu tun. Falls Katie vergewaltigt wurde, wäre das sogar ein Motiv dafür, das Neugeborene loswerden zu wollen. Ich denke einfach, daß Katie eine erfahrene Person braucht, mit der sie reden kann. Es könnte durchaus sein, daß Katie tagtäglich mit dem Burschen in Kontakt kommt, der ihr das angetan hat, und Gott allein weiß, wie sich das auf sie auswirkt.«
    Leda schwieg einen Moment. »Vielleicht war der Mann kein Amisch«, sagte sie schließlich.
    Ich verdrehte die Augen. »Wieso nicht? Samuel ist eine Sache, aber da draußen könnte doch irgendwo ein amischer Junge rumlaufen, der die Beherrschung verloren und Katie zu etwas gezwungen hat, das sie nicht wollte. Und außerdem, die Englischen , mit denen Katie in Kontakt gekommen ist, seit ich hier bin, kann ich an einer Hand abzählen.«
    »Seit du hier bist«, wiederholte sie.
    Leda war offensichtlich unbehaglich zumute. »Hast du mir etwas verschwiegen?« fragte ich

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