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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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meine Wange, und mein Ärger verpuffte so schnell, wie ich verblüfft nach Luft schnappte. »Ich wollte dich sehen, Ellie. Ich wollte wissen, ob du das bekommen hast, was du dir damals gewünscht hast.«
    Er war mir jetzt so nah, daß ich die goldenen Punkte in seinen grünen Augen sehen konnte. »Du trinkst deinen Kaffee schwarz«, flüsterte er. »Du bürstest dir eine Ewigkeit die Haare, bevor du ins Bett gehst. Du kriegst Ausschlag, wenn du Himbeeren ißt. Du duschst gerne nach der Liebe. Du kennst den Meatloaf-Song ›Paradise by the Dashboard Light‹ von vorne bis hinten auswendig, und an Weihnachten hast du immer Kleingeld in der Tasche, das du den Weihnachtsmännern von der Heilsarmee gibst.« Coops Hand glitt in meinen Nacken. »Du siehst, ich weiß alles von dir.«
    »Bis auf meine Geheimzahl für den Geldautomaten«, flüsterte ich.
    Ich beugte mich vor, hatte schon seinen Geschmack auf der Zunge. Coops Finger wurden drängender, und als ich die Augen schloß, dachte ich nur noch, wie sternenübersät und dunkel der Nachthimmel war und daß man sich an diesem Ort wirklich verlieren konnte.
    Unsere Lippen hatten sich gerade berührt, als wir durch rasche Schritte aufgeschreckt wurden, die die Einfahrt hinunterliefen.
    Wir waren Katie fast schon ein Meile zu Fuß gefolgt. Bislang hatte keiner von uns einen Ton gesagt, aber ich war sicher, daß Coop das gleiche dachte wie ich: Katie wollte sich mit jemandem treffen, den sie nicht in meinem Beisein sehen wollte. Samuel kam somit nicht in Frage, der abwesende, unbekannte Vater des Kindes um so mehr. Doch bevor ich noch weiter spekulieren konnte, erkannte ich, daß wir uns auf dem Friedhof, wo Sarah und Aaron den Leichnam des Kindes hatten beerdigen lassen, befanden.
    »O Gott«, hauchte ich.
    Wir hielten uns in einiger Entfernung versteckt, aber Katie schien gar nicht auf ihre Umgebung zu achten. Ihre Augen waren weit aufgerissen und glasig. Sie legte die Taschenlampe auf einen anderen Grabstein, so daß der Lichtschein auf das frische Grab fiel, und berührte den Grabstein.
    TOTGEBOREN, genau wie Leda gesagt hatte. Ich sah, wie Katies Finger jeden einzelnen Buchstaben erkundeten. Sie krümmte sich – weinte sie? Ich wollte zu ihr, doch Coop hielt mich zurück.
    Plötzlich hielt Katie etwas in den Händen, das aussah wie ein kleiner Hammer und ein Meißel. Sie setzte den Meißel an den Stein und schlug einmal zu, zweimal.
    Diesmal konnte Coop mich nicht aufhalten. »Katie!« rief ich und rannte zu ihr, aber sie schaute sich nicht mal um. Ich kniete neben ihr und packte sie an den Schultern, dann nahm ich ihr Meißel und Hammer aus der Hand. Tränen strömten ihr übers Gesicht, aber ihr Blick war völlig leer. »Was tust du da?«
    Sie sah mich mit diesen leeren Augen an, und plötzlich schien sie zu begreifen. »Oh«, wimmerte sie und schlug die Hände vors Gesicht. Ihr Körper begann haltlos zu zittern.
    Coop hob sie hoch. »Bringen wir sie nach Hause«, sagte er und trug sie in Richtung Friedhofstor.
    Ich kniete noch immer am Grab und hob Meißel und Hammer auf. Katie hatte ein Stück von der Beschriftung abgeschlagen. Ich fuhr mit dem Finger über die verbliebenen Buchstaben: TOT.
    »Vielleicht ist sie Schlafwandlerin«, sagte Coop. »Ich habe Patienten gehabt, deren Schlafstörungen verheerende Folgen für ihr Leben hatten.«
    »Ich schlafe seit Wochen mit ihr in einem Zimmer, und sie ist nicht ein einziges Mal aufgestanden.« Ich fröstelte, und er legte einen Arm um mich. Auf der kleinen Bank am Teich der Fishers rückte ich ein winziges Stückchen näher an ihn heran.
    »Andererseits«, mutmaßte er, »begreift sie vielleicht allmählich, was passiert ist.«
    »Das erscheint mir nicht logisch. Wenn sie sich eingestanden hat, daß sie schwanger war, wieso sollte sie dann den Grabstein beschädigen?«
    »Ich habe nicht gemeint, daß sie es sich selbst eingesteht. Ich habe gemeint, daß sie so langsam die Beweise akzeptiert und irgendwie versucht, alles in Einklang zu bringen. Unbewußt.«
    »Hm, verstehe. Wenn es keinen Grabstein gibt, hat es das Kind nie gegeben.«
    »Genau.« Er atmete langsam aus und sagte dann nachdenklich: »Du hast jetzt genug in der Hand, Ellie. Du findest einen forensischen Psychologen, der dich unterstützt, wenn du auf Unzurechnungsfähigkeit plädierst.«
    Ich nickte, wußte aber selbst nicht recht, warum ich mich durch Coops Zuspruch nicht besser fühlte. »Aber du triffst dich doch weiter mit ihr, ja?«
    »Ja. Ich werde tun,

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