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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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Fleisches ergeben hat.«
    Katies ganzer Körper glühte. Der Blick des Bischofs ruhte auf ihr. »Entspricht das der Wahrheit?«
    »Ja«, flüsterte sie, und sie hätte schwören können, daß sie in der Stille Ellies resigniertes Seufzen hörte.
    Der Bischof wandte sich der Versammlung zu. »Seid ihr einverstanden, daß Katie eine Zeitlang unter den Bann gestellt wird, um über ihre Sünde nachzudenken und Buße zu tun?«
    Jeder hatte bei der Festsetzung ihrer Strafe ein Mitspracherecht. Es kam jedoch selten vor, daß jemand nicht einverstanden war – schließlich war es doch eine Erleichterung, wenn ein Sünder beichtete und der Heilungsprozeß in Gang gesetzt wurde. »Ich bin eenich« , einverstanden, hörte sie, und nacheinander wiederholten alle Gemeindemitglieder diese Worte.
    Heute abend würde sie gemieden werden. Sie würde nicht am selben Tisch mit der Familie essen dürfen. Sie würde sechs Wochen lang unter Bann stehen; man würde zwar nach wie vor mit ihr sprechen und sie weiterhin lieben, doch sie würde allein sein. Katie hielt den Blick gesenkt, auch als sie die leisen Stimmen ihrer Freundinnen hörte, das zögernde Seufzen ihrer Mutter, die strenge Entschlossenheit ihres Vaters. Dann hörte sie die Stimme, die sie am besten von allen kannte, Samuels tiefen, rauhen Baß. »Ich bin …«, sagte er unsicher. »Ich bin …« Würde er widersprechen? Würde er für sie einstehen, nach allem, was geschehen war?
    »Ich bin eenich« , sagte Samuel, und Katie schloß die Augen.
    Der Gottesdienst hatte auf einer nahegelegenen Farm stattgefunden, so daß Ellie und Katie zu Fuß nach Hause gingen. Ellie legte den Arm um die Schultern des Mädchens. »Ich werde mit dir zusammen essen.«
    Katie warf ihr einen kurzen, dankbaren Blick zu.
    Eine Weile gingen sie schweigend weiter, schließlich wandte Ellie sich Katie zu. »Wie kommt es, daß du vor der versammelten Gemeinde bereitwillig zugibst, daß du ein Kind bekommen hast, aber nicht mir gegenüber?«
    »Weil das von mir erwartet wurde«, sagte Katie schlicht.
    »Ich erwarte es auch von dir.«
    Sie schüttelte den Kopf. »Wenn der Diakon zu mir kommen und verlangen würde, daß ich Rechenschaft ablege, weil ich nackt im Teich gebadet habe, würde ich ja sagen, auch wenn ich es gar nicht getan habe.«
    »Warum?« Ellie war offensichtlich wütend. »Warum läßt du dich so von ihnen schikanieren?«
    »Sie schikanieren mich nicht. Ich könnte aufstehen und sagen, daß ich es nicht getan habe – aber das würde ich niemals tun. Es ist viel unangenehmer, über die Sünde zu sprechen, als die Beichte schnell hinter sich zu bringen.«
    »Aber das heißt, du läßt das System mit dir machen, was es will.«
    »Nein«, erklärte Katie. »Das heißt nur, daß ich das System funktionieren lasse. Ich will nicht im Recht sein oder stark oder die Beste. Ich will bloß sobald wie möglich wieder zu ihnen gehören.« Sie lächelte nachsichtig. »Ich weiß, daß das schwer zu begreifen ist.«
    Ellie rief sich mühsam in Erinnerung, daß das amische Rechtssystem nun mal nicht das amerikanische Rechtssystem war, daß aber beide seit Hunderten von Jahren funktionierten. »Ich verstehe das schon«, sagte sie. »Es ist nur eben nicht die wirkliche Welt.«
    »Vielleicht nicht.« Katie wich einem Wagen aus, in dem sich ein Tourist aus dem Fenster lehnte, um ein Foto von ihr zu machen. »Aber die, in der ich lebe.«
    Katie stand ängstlich am Ende der Straße und hielt eine Taschenlampe in der Hand. Wenn irgend jemand sie mit diesem Englischen erwischte, würde sie Schwierigkeiten bekommen – doch Adam reiste bald ab, und sie wollte ihn unbedingt noch einmal sehen.
    Adam war schließlich doch nicht nach New Orleans gegangen, um seine Geister zu suchen. Er hatte das Stipendiumsgeld an einen ganz anderen Schauplatz überwiesen – Schottland – und seine Pläne geändert, so daß er erst im November abreisen würde. Jacob war so froh, nicht schon wieder umziehen zu müssen, daß er sich nicht über Adams Angebot, weiter bei ihm zu wohnen, wunderte. Auch nicht über die Unbefangenheit, mit der seine Schwester und sein Mitbewohner miteinander plauderten, oder die Art, wie Adam beschützend seine Hand auf ihren Rücken legte, wenn sie über den Campus gingen, oder die Tatsache, daß Adam in all den Monaten nicht eine einzige Verabredung mit einem Mädchen gehabt hatte.
    Ein Auto näherte sich der Zufahrt. Katie wartete im Schatten der Büsche und trat in das Licht der Scheinwerfer, als es

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