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Die einzige Wahrheit

Die einzige Wahrheit

Titel: Die einzige Wahrheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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»Dr. Polacci, ist meine Mandantin psychisch gesund?«
    Die Psychologin atmete tief durch. »Das ist eine gewichtige Frage. Meinen Sie gesund im medizinischen Sinn oder im rechtlichen? Verrücktsein im medizinischen Sinn würde bedeuten, daß eine Person keinen Kontakt mehr zur Realität hat – aber eine Person in einem dissoziativen Zustand hat Kontakt zur Realität. Sie wirkt normal, während sie sich in einem völlig unnormalen Zustand befindet. Verrücktsein im rechtlichen Sinn hat jedoch nichts mit Realität zu tun – dabei geht es um kognitive Fähigkeiten. Und wenn eine Frau im dissoziativen Zustand einen Mord begeht, kann sie den Charakter und die Qualität ihrer Tat höchstwahrscheinlich nicht ermessen, ebensowenig wie sie weiß, daß das, was sie tut, falsch ist.«
    »Dann könnte ich also auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren?«
    »Sie können plädieren, worauf Sie wollen«, sagte Polacci knapp. »In Wirklichkeit wollen Sie doch wissen, ob Sie damit für Ihre Mandantin einen Freispruch erreichen. Offen gesagt, Ms. Hathaway, ich weiß es nicht. Ich kann Ihnen sagen, daß Geschworene meistens an praktischen Fragen interessiert sind: ob die Frau gefährlich ist und ob das noch mal passieren könnte – was bei den meisten Frauen, die eine Kindstötung begehen, verneint werden kann. Im besten Fall wird meine Aussage die Geschworenen beruhigen – falls sie Katie freisprechen wollen, werden sie das tun, vorausgesetzt, sie haben etwas, womit sie ihren Spruch rechtfertigen können.«
    »Und im schlimmsten Fall?«
    Dr. Polacci zuckte die Achseln. »Werden die Geschworenen mehr über Neonatizid erfahren, als sie je wissen wollten.«
    »Und Katie?«
    Die Psychologin ließ ihren Blick auf Ellie ruhen. »Und Katie geht ins Gefängnis.«
    Katie kam sich vor wie der Zweig, den sie mit ihren Händen malträtierte – ihre Nerven waren bis zum Zerreißen gespannt. Ellie wollte sie auf die unangenehme Befragung durch den forensischen Psychologen vorbereiten, den die Staatsanwaltschaft engagiert hatte. Sie hatte gesagt, Dr. Polacci sei der Meinung, Katie verschweige ihnen bewußt, wie das Baby gezeugt worden war. »Und ich werde auf keinen Fall zulassen, daß du es dem Sachverständigen der Anklage auf die Nase bindest.«
    Deshalb waren sie jetzt auf dem Heuboden – sie und Ellie, die auf einmal so erbarmungslos und unnachgiebig war, daß Katie sie von Zeit zu Zeit ansehen mußte, um sich zu vergewissern, daß es tatsächlich Ellie war.
    »Du erinnerst dich nicht daran, mit jemandem geschlafen zu haben«, sagte Ellie.
    »Nein.«
    »Ich glaube dir nicht. Du hast gesagt, du könntest dich nicht an die Schwangerschaft oder an die Geburt erinnern, und siehe da, drei Tage später bist du plötzlich ein übersprudelnder Quell an Informationen.«
    »Aber das ist die Wahrheit!« Katies Hände waren schweißnaß.
    »Du hast ein Kind bekommen. Erklär mir das.«
    »Das hab ich schon, Dr. –«
    »Erklär mir, wie es gezeugt wurde.« Als Katie einfach schwieg, stützte Ellie müde den Kopf in die Hände. »Hör mal«, sagte sie. »Du bluffst doch. Die Psychologin weiß das, und ich weiß das. Und, Katie, du weißt es auch. Du machst es uns verdammt schwer, dich zu verteidigen. Ich weiß nur von einer Unbefleckten Empfängnis, und da warst du nicht beteiligt.«
    Katie schlug die Augen nieder. »Okay«, sagte Katie schließlich leise. Sie schluckte trocken. »Ich war zu Besuch bei meinem Bruder, und wir sind zu einer Examensfeier gegangen. Ich hatte keine Lust, aber Jacob wollte so gern hingehen. Es war sehr voll, sehr heiß. Jacob ist losgezogen, um uns was zu essen zu besorgen, und kam eine ganze Weile nicht wieder. In der Zeit hat mich ein Junge angesprochen. Er hat mir ein Glas Punsch gegeben und gesagt, ich würde so aussehen, als könnte ich es gebrauchen. Ich hab ihm gesagt, ich würde auf jemanden warten, und er hat gelacht und gesagt: ›Wer etwas findet, darf es behalten.‹«
    Katie berührte die Zacken einer Harke, die an der Wand lehnte. »Ich hab wohl was von dem Punsch getrunken, während er so erzählt hat. Und auf einmal fühlte ich mich ganz schrecklich – und alles drehte sich. Ich bin aufgestanden, und der ganze Raum fing an zu schwanken.« Sie biß sich auf die Lippe. »Als nächstes erinnere ich mich, daß ich auf einem fremden Bett lag, und alle meine Sachen waren … und er war …« Katie schloß die Augen. »Ich … ich wußte nicht mal, wie er heißt.«
    Sie legte den Kopf an die Wand, spürte die

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