Die einzige Wahrheit
rauhe Fläche der Holzbretter an der Stirn. Ihr ganzer Körper bebte, und sie hatte Angst, sich umzudrehen und Ellie ins Gesicht zu sehen.
Ellie umarmte sie von hinten. »Ach, Katie«, sagte sie tröstend. »Es tut mir ja so leid.«
Katie ließ sich in ihre Arme sinken und brach in Tränen aus.
Als Katie die Geschichte erneut erzählte, hielt sie hilfesuchend Ellies Hand umklammert. Vielleicht war sie sich der Tränen gar nicht bewußt, die ihr über die Wangen strömten.
Dr. Polacci, die zu dieser Beichte herbeigeholt worden war, blickte von Katie zu Ellie und wieder zurück. Dann hob sie die Hände und begann mit teilnahmsloser Miene zu klatschen. »Hübsche Geschichte«, sagte sie. »Versuch’s noch mal.«
»Sie lügt«, sagte Dr. Polacci. »Sie weiß ganz genau, wo, wann und mit wem sie das Baby gezeugt hat, und ihre bezaubernde kleine Vergewaltigungsgeschichte ist ein Märchen.«
Ellie wehrte sich gegen den Gedanken, daß Katie sie bewußt angelogen hatte. »Wir sprechen hier nicht über irgendeine durchschnittliche Jugendliche, die sich für ihre Eltern Ausreden einfallen läßt und die Nacht mit ihrem Freund auf der Rückbank seines Wagens verbringt.«
»Genau. Diese Geschichte war einfach zu gut, kalkuliert, einstudiert. Sie hat Ihnen erzählt, was Sie hören wollten. Falls sie vergewaltigt worden ist, hätte sie das mittlerweile in den Sitzungen mit dem klinischen Psychologen gestanden, es sei denn, sie will den Vergewaltiger schützen, aber dann hätte sie sich die ganze Geschichte sparen können. Außerdem wäre da noch die Kleinigkeit mit der Examensfeier, die drei Monate nach den Prüfungen im Juni stattfindet – laut gerichtsmedizinischem Bericht ist sie ja wohl im November schwanger geworden.«
Erst diese offensichtliche Ungereimtheit brach Ellies Widerstand. »Scheiße«, sagte sie halblaut. »Wenn es eine Lüge ist, daß sie sich nicht erinnert, Sex gehabt zu haben, lügt sie dann auch, wenn sie behauptet, sie erinnere sich nicht an den Mord?«
Die Psychologin stieß einen Seufzer aus. »Mein Gefühl sagt immer noch nein. Als ich sie nach der Zeugung fragte, reagierte sie ausweichend – sagte, das wäre für sie alles irgendwie nicht greifbar. Aber als ich sie nach dem Mord fragte, stritt sie die Tat rundheraus ab. Und dann ist da noch dieser eklatante Bruch – sie schläft mit dem Kind im Arm ein, sie wacht auf, und es ist verschwunden. Die beiden amnesischen Episoden unterscheiden sich deutlich – und das läßt mich vermuten, daß sie die eine bewußt leugnet, während sie die andere unterbewußt dissoziiert hat.«
Dr. Polacci klopfte Ellie auf die Schulter. »Nehmen Sie’s nicht so schwer. Eigentlich ist es sogar ein Kompliment. Katie fühlt sich Ihnen so verbunden, daß sie Sie auf keinen Fall enttäuschen will, selbst wenn sie dafür falsche Erinnerungen schaffen muß. Sie sind für sie eine Elternfigur geworden.«
»Den elterlichen Erwartungen nicht gerecht werden«, schnaubte Ellie. »Ist das nicht überhaupt der Grund, warum sie jetzt in dieser Lage ist?«
Dr. Polacci lachte. »Zum Teil. Das und irgendein Mann. Ein Mann, der einen unglaublich starken Einfluß auf sie hat.«
Die Nacht war so warm, daß Ellie sich auf ihren Quilt gelegt hatte. Sie lauschte Katies Atemzügen und fragte sich, wie lange sie wohl brauchen würden, um einzuschlafen.
Ellie verstand selbst nicht, warum sie neuerdings so versessen auf die Wahrheit war. Als Verteidigerin mußte sie sich normalerweise die Ohren zuhalten, um keine Eingeständnisse zu hören, die sie als Juristin nicht hören wollte. Aber jetzt hätte sie für zehn Minuten in Katie Fishers Kopf glatt ihren Zwölf-Volt-Transformator hergegeben.
Dann hörte sie ein schwaches Seufzen. »Es tut mir leid«, sagte Katie leise.
Ellie sah nicht mal zu ihr hinüber. »Wofür genau willst du dich entschuldigen? Für den Mord an dem Kind? Oder für das etwas profanere Delikt, daß du mich vor meiner eigenen Zeugin als Idiotin hingestellt hast?«
»Du weißt, was mir leid tut.«
Langes Schweigen. »Warum hast du das gemacht?« fragte Ellie schließlich.
Sie hörte, daß Katie sich auf die Seite rollte. »Weil du es unbedingt hören wolltest.«
»Was ich will, ist, daß du aufhörst, mich anzulügen, Katie. Daß du mir ehrlich sagst, wie dein Kind entstanden ist und was nach seiner Geburt passiert ist.« Sie fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Was ich will, ist, die Uhr zurückdrehen, damit ich deinen Fall ablehnen könnte.«
»Ich
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