Die einzige Zeugin
an.
»Ich dachte, du wärst froh, dass Donny da ist.«
»Das bin ich.«
»Und ich dachte, dass du ihn noch liebst.«
»Das tue ich, aber ich muss es langsam angehen lassen. Die letzten Monate habe ich mich gefühlt, als hätte mir jemand Arme und Beine ausgerissen. Ich muss vorsichtig sein. Er ist ziemlich fertig, weil mit seiner Freundin Schluss ist. Das heißt nicht, dass er schon bereit ist, zu mir zurückzukommen. Oder dass ich bereit bin, ihn wieder bei mir zu haben.«
»Er will, dass du zurück nach London kommst.«
»Das werde ich nicht. Ich bin hierher gekommen und habe mich sofort besser gefühlt, ich bin endlich wieder ich selbst. Ich gehöre hierher. Meine Mädels gehören hierher«, sagte sie und zog eins der Kätzchen zu sich auf den Schoß. »Wenn Donny mit mir zusammen sein will, muss er hierher kommen.«
Es klingelte. Jessica griff nach ihrem Handy und sah auf das Display.
»Wenn man vom Teufel spricht«, sagte sie. »Hallo Donny.«
Sie sah halb genervt und halb erfreut aus. Sie ging mit dem Handy in die Küche. Lauren setzte sich aufs Sofa und versuchte fernzusehen. Sie war müde. Einige Gesprächsfetzen der Unterhaltung drangen zu ihr hoch.
Ich weiß … ich weiß … Das verstehe ich … Ich bin nicht sicher … Es geht mir gut … Ich möchte nichts überstürzen … Das weiß ich doch … Das musst du nicht immer wieder sagen … Das ändert nichts … Ich weiß … ich weiß.
Sie ging nach oben und suchte ihr eigenes Handy. Sie hatte zwei Nachrichten von Nathan. Sie las sie durch und schrieb ihm zurück. Sofort kam seine Antwort. Du fehlst mir. Ich werde ohne dich nicht einschlafen können. Sie dachte an die vergangene Nacht. Da hatte sie nicht viel Zeit mit ihm verbracht, sie war im Schlafzimmer ihrer Eltern gewesen und hatte einen Traum gehabt, der so lebendig gewesen war, dass sie ihn sich jederzeit wieder ins Gedächtnis rufen konnte. Sie war völlig aufgelöst aufgewacht, und er war bei ihr gewesen und hatte sie getröstet.
Nathan war das einzig Gute, was dieser Sommer ihr gebracht hatte.
So viele andere Dinge hatten sich für immer verändert. Ihr Vertrauen in Donny und Jessica als Paar. Das war der erste große Riss in ihrem Weltbild gewesen. Dann die Gewissheit, die sie über die Ereignisse an jenem Morgen hatte, an dem ihre Mutter und ihre Schwester gestorben waren. Ihre Überzeugung war felsenfest gewesen, aber sie hatte zu bröckeln begonnen, als der Clown in ihrer Erinnerung aufgetaucht war. Rachel Morris hatte ihn ans Licht gebracht und ihm einen Namen gegeben, aber sie hatte sich schon vorher dunkel an ihn erinnert. Sie hatte an ihn gedacht, als sie das erste Mal wieder vor dem Haus gestanden hatte. Das Thema ihres Kunstprojekts hatte ihre Kindheitserinnerungen aus der Versenkung geholt, vielleicht war es auch das Haus gewesen, oder beides. Erst hatte der Clown ihre Mutter zum Lachen gebracht. Dann hatte er sie in solche Panik versetzt, dass sie versucht hatte, ihn auszusperren, und Lauren mit in ihr Bett genommen hatte, damit sie alle zusammen und in Sicherheit wären. Jessica und Donny waren in Spanien gewesen. Ihr Vater hatte bei seiner neuen Freundin gewohnt. Ihre Mutter hatte niemanden gehabt, an den sie sich wenden konnte.
Hatte ihre Mutter William Doyle an diesem Morgen in ihr Haus gelassen? Oder am Abend vorher? Hatten sie sich gestritten? Hatte er versucht, die ganze Familie umzubringen? Warum? Weil ihre Mutter nichts mehr von ihm wissen wollte? Ihn nicht mehr sehen wollte? Angst vor ihm hatte?
Sie fühlte, wie sie nervös wurde, und lief im Zimmer auf und ab. Sie hatte getan, was sie konnte. Sie hatte alles, was sie wusste, an Rachel Morris weitergegeben, und jetzt war es an ihr, das Rätsel zu lösen.
Und irgendwann würde sie mit Jessica darüber sprechen müssen.
Sie ging aus ihrem Zimmer und lauschte. Jessica telefonierte immer noch mit Donny, ihre Stimme war leise und bestimmt. Wenn sie doch nur jetzt mit ihr reden könnte. Mit ihr darüber sprechen könnte, was in den letzten Wochen passiert war.
Sie ging zurück in ihr Zimmer und kämpfte gegen eine Mischung aus Ärger und Enttäuschung an.
Ihr Blick fiel auf den großen Karton. Das Puppenhaus. Wie ein Besucher aus der Vergangenheit. In den letzten Monaten hatte sie immer wieder daran gedacht, und jetzt stand es hier vor ihr.
Sie öffnete die Schubladen des neuen Schreibtischs und fand eine Schere. Sie durchtrennte das Klebeband und öffnete den Karton an der Oberseite.
Innen roch es
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