Die Eisbärin (German Edition)
Wetterbericht, der Regen ankündigte.
Markus war mittlerweile dicht an Sabine herangetreten.
„Möchtest du etwas essen?“, fragte sie, verunsichert durch die plötzliche Nähe, und sah zur Seite.
„Nein“, flüsterte Markus und betrachtete seine Frau eine Weile. Dann strich er ihr über die Wangen, hob zärtlich ihr Kinn und lächelte sie an. Nun konnte Sabine nicht anders, als ihn anzusehen. Seine blauen Augen blickten sanft zu ihr herunter. Schließlich lächelte sie zurück.
Diese Geste als stumme Aufforderung wertend, packte er Sabine mit einer blitzschnellen Bewegung und trug sie nach nebenan ins Schlafzimmer. Seinen Mund dicht an ihrem Hals, flüsterte er ihr kleine Zärtlichkeiten ins Ohr. Behutsam legte er sie auf die weiche Matratze, kniete sich über sie und fing an, sie zu küssen. Langsam wanderten seine Lippen von ihrem Mund über ihren Hals und weiter hinab, während er seine Hand unter den Saum ihres Kleides schob. Er konnte nicht wissen, dass seine Frau in diesem Moment schon nicht mehr bei ihm war.
Sabine erlebte die Szene wie in Trance. Zunächst hatte sie sich auf Markus’ Berührungen gefreut, aber schon auf dem Weg ins Schlafzimmer wich die Vorfreude den mit Macht auf sie einstürmenden finsteren Bildern. Sie versuchte, sie zu verscheuchen, doch es gelang ihr nicht. Gegen die Heftigkeit, mit der ihr Unterbewusstsein seinen eigenen Regeln folgte, war sie vollkommen machtlos. Plötzlich hatte sie das Foto wieder vor Augen. Sie blickte in die ausdruckslosen Augen, sah die narbige Haut. Von irgendwoher meinte sie den gequälten Schrei eines kleinen Mädchens zu hören. Ihr Pulsschlag beschleunigte sich, und sie öffnete die Augen. Was sie sah, löste nackte Panik in ihr aus. Es war nicht Markus, der mit den Fingern zwischen ihre Schenkel fuhr. Sie erkannte das Gesicht Jürgen Kohlmeyers, zu einer grauenhaft grinsenden Fratze verzogen.
„Du Bastard!“, schrie sie, so laut sie konnte. „Du elender Bastard!“
Sie zog ihre Beine zum Körper, nur um im nächsten Augenblick mit voller Wucht nach der Bestie, die sie bedrängte, zu treten. Sie spürte, wie ihr rechter Fuß auf einen Widerstand traf, und es folgte ein ächzendes Stöhnen.
Mit schmerzgeweiteten Augen krümmte sich Markus zusammen, kippte zur Seite und rutschte vom Bett. Hustend und würgend landete er auf dem Boden und erbrach einen Schwall säuerlich riechender Flüssigkeit.
Als sich die Welle des Schmerzes langsam zurückzog, blickte er in unendlicher Fassungslosigkeit zu Sabine empor. Wie in Zeitlupe vergingen die Minuten, die er so auf dem Boden zubrachte. Endlich reagierte Sabine.
„Oh Gott“, flüsterte sie, ehe sie aufstand und sich weinend neben ihn auf den Boden legte. „Markus, das wollte ich nicht.“
Doch ihr Mann war nicht in der Lage, zu antworten. Die Luft reichte gerade zur Aufrechterhaltung seiner Körperfunktionen.
„Liebling, verzeih mir.“ Nun ließ Sabine ihren Tränen freien Lauf. „Ich war nicht ich selbst.“
Sie schluchzte immer stärker und legte vorsichtig einen Arm um ihren Mann.
„Brauchst du einen Arzt?“, fragte sie schließlich.
Markus brachte ein zaghaftes Kopfschütteln zustande.
So verharrten sie eine Stunde lang auf dem Teppich vor ihrem gemeinsamen Ehebett. Schweigend, weinend.
Gegen 19.45 Uhr versuchte Markus, sich aufzurichten. Sein Magen schmerzte, doch er schien nicht ernsthaft verletzt. Die Bauchmuskulatur hatte den Tritt abfedern können. Er stand auf und schleppte sich auf wackeligen Beinen zur Tür.
„Ich hole Laura ab“, flüsterte er, ohne Sabine dabei anzuschauen.
Schon auf dem Weg zur Garage setzte der angekündigte Starkregen ein, und die dicken Tropfen mischten sich mit den Tränen seiner hilflosen Traurigkeit.
Freitag, 19. November, 19.30 Uhr
Als Klein und Bergmann in das Besprechungszimmer eilten, herrschte bereits hektische Betriebsamkeit.
Die neuesten Informationen hatten längst die Runde gemacht, was Klein mit grimmiger Verärgerung zur Kenntnis nahm. In diesem Punkt glich er allen Führungskräften dieser Welt, denn er konnte es nicht ausstehen, wenn andere im Wissensvorteil waren. Nicht, wenn es um seine Ermittlung ging.
„Entschuldigt die Verspätung!“, bellte er in die Runde und schaffte es, seinen Worten den Klang einer Kampfansage zu verleihen. „Auf den verdammten Straßen ist die Hölle los! Alle reden von Rezession, aber die Zahl der Autos scheint zu explodieren. Irgendwas stimmt doch da nicht!“
Erschöpft ließ er sich auf den
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