Die eisblaue Spur
Unverzeihliches
getan. Er hatte mit jemandem über die Deutung des neunten
Schrittes sprechen wollen: Wir machten bei diesen Menschen alles
wieder gut – wo immer es möglich war –, es sei
denn, wir hätten dadurch sie oder andere verletzt. Zu
spät. Viel zu spät. Sein Herz stockte, und das Blut in
seinen Adern schien zu gefrieren. Er wartete, bis es zu Eis
geworden war und er sich so fühlte wie in Grönland. Dann
verließ er das Zimmer, um die Botschaft zu
empfangen.
Dóra hatte stundenlang
vor dem Computer gesessen, war aber nicht viel weitergekommen. Wie
bei allen Computernetzwerken gab es zahlreiche Dateien, aus denen
Fremde nicht schlau wurden. Daher hatte sie Eyjólfur
gerufen, und der junge IT-Spezialist hatte ihr bereitwillig einen
kleinen Einblick in den Aufbau des Systems gegeben. Es war in vier
Bereiche unterteilt: Fotos, Tagesberichte, Projektdateien und
Privates.
Eyjólfur hatte ihr
erzählt, dass der private Bereich einige Netzwerkprobleme
verursacht hätte, da die Mitarbeiter Musik- und Videodateien
heruntergeladen hatten, die zu viel Platz in Anspruch nahmen. Aus
Neugier öffnete Dóra einen privaten Ordner mit dem
Namen Doddi und sah eine endlos lange Liste mit allen
möglichen Dateien. Bevor Eyjólfur wieder ging,
erklärte er ihr, die Mitarbeiter seien dazu angehalten worden,
alle wichtigen Dateien auf externen Festplatten zu sichern, da nur
vom zentralen Server Sicherheitskopien gemacht wurden.
Dóra vertiefte sich
zuerst in die Tagesberichte und druckte alles aus, was sie für
wichtig hielt. Danach machte sie Stichproben in den anderen
Bereichen und fand noch ein paar interessante Dateien.
Matthias hatte in der
Zwischenzeit die Büros auf Blutspuren untersucht. »Bei
einem Büro bin ich mir ziemlich sicher, dass es das aus dem
Film ist. Wenn man genau hinschaut, kann man erkennen, dass jemand
versucht hat, Blutspuren wegzuwischen. Da sind Spritzer auf
Aktenordnern und Spuren von einem schmutzigen Lappen an der Wand
und am Boden. Und auf dem Schreibtisch liegt eine Videokamera, die
an den Computer angeschlossen ist.«
»Was hat das alles
bloß zu bedeuten?« Dóra straffte ihren
Rücken, nachdem sie viel zu lange zusammengesunken dagesessen
hatte.
»Keine Ahnung. Ich habe
das Zimmer abgeschlossen, die Polizei soll die Spuren genauer
untersuchen. Wir haben nicht die Ausrüstung für so was,
und das ist auch nicht unsere Aufgabe. Wir sollten uns lieber auf
die Rettung des Projekts konzentrieren.« Matthias schaute auf
den Bildschirm vor Dóra. »Und bei
dir?«
»Ich hab ein paar Dateien
gefunden, die wichtig sein könnten«, sagte Dóra
und klopfte stolz auf den Stapel auf dem Tisch. »Wenn wir
wirklich alles durchforsten wollen, dauert es sehr lange. Ich habe
bisher nur die Tagesberichte und stichprobenartig einen Teil der
Dateien der Bohrmänner durchgesehen. Und ein paar Dateien von
Gísli Pálsson, der für die Sicherheit im Camp
verantwortlich war.«
»Das reicht erst mal.
Eyjólfur kopiert alle Dateien für uns. Nicht schlimm,
wenn du jetzt was übersehen hast.«
Dóra atmete erleichtert
auf. »Gut. Also, ich habe mich erst mal auf die drei
verschwundenen Mitarbeiter konzentriert.« Sie gab Matthias
einen Ausdruck von Bjarkis Berichten. »Eyjólfur hat
mir erzählt, dass die Geologin am 31.Oktober letzten Jahres
verschwunden ist. Deshalb habe ich mir den Oktober und den November
genau angesehen. Und die letzten beiden Monate, aber dabei ist
nicht viel herausgekommen. In den Berichten der Bohrmänner
stand kaum etwas über die Frau, aber wir sollten trotzdem
versuchen, herauszufinden, was eigentlich mit ihr passiert ist.
Wenn wir eine Erklärung für ihr Verschwinden haben,
lassen sich die Mitarbeiter vielleicht dazu bewegen,
zurückzukommen. Dann wäre die Bank gerettet.« Sie
sah Matthias an. »Die verschwundene Frau hieß
Oddný Hildur.«
Matthias schaute von den
Berichten auf. »Was hast du über sie
rausgekriegt?« Er legte die Blätter beiseite. »Das
ist ja totales Fachchinesisch.«
»Nicht viel. Die
Bohrmänner haben notiert, wie lange die Suche nach ihr
gedauert hat. Anscheinend waren sie nicht aus purer Menschenliebe
dabei, sondern weil der Wachmann sie dafür eingeteilt hat. Der
eine Bohrmann, dieser Bjarki, hat nach einer Woche Suchen
geschrieben, diese sinnlose Aktion wäre jetzt vorbei, weil
sich das Wetter dramatisch verschlechtert hätte. Dann hab ich
noch versucht, in den Berichten des Wachmanns etwas zu
finden.«
»Und?«
»Er schreibt
ausführlicher über
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