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Die eisblaue Spur

Die eisblaue Spur

Titel: Die eisblaue Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurðardóttir
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auf das Thema. »Wie ist die Frau denn gestorben? Hat
sie vielleicht Blut gebraucht oder eine Blutkrankheit
gehabt?«
    Oqqapia war völlig perplex.
Sie fasste sich ans Kinn und strich über ihre geschwollene
Haut. »Nein, sie hat sich verirrt.«
    Dóra verschlug es kurz
die Sprache. »Wo denn?«
    »In der Nähe des
Camps. Sie ist dahin gegangen, obwohl sie gewarnt wurde. Ich
würde dieses Gebiet nie betreten.«
    »Und dann ist sie einfach
nicht zurückgekommen? Hat man nicht nach ihr
gesucht?«
    »Sie ist morgens
losgegangen, und als sie abends nicht zurücckam, war klar,
dass sie auch am nächsten Tag nicht kommen würde. Es war
sinnlos, nach ihr zu suchen, obwohl Naruana und sein Vater es
versucht haben. Sie war verschwunden.«
    »Interessiert es denn
niemanden, dass in diesem Gebiet massenweise Leute
verschwinden?« Dóra war fassungslos.
    Oqqapia wich zurück.
»Natürlich finden wir das schlimm. Deshalb gehen wir ja
nicht dorthin, sondern versuchen, andere zu warnen. Ich habe das
schon als kleines Kind gelernt.«
    »Ich meinte nicht nur die
Dorfbewohner, sondern auch die Polizei und die Behörden.
Werden denn keine Suchaktionen in die Wege geleitet, wenn einfach
Leute verschwinden?«
    Die Frau schüttelte den
Kopf und schaute Dóra verwundert an. »Wie sollten die
denn davon erfahren?«
    Matthias, der am anderen Ende
des Sofas saß, stöhnte und legte eine Wählpause
ein. Kein Wunder, dass hier niemand versuchte, die Behörden zu
informieren. »Wurde der Tod der Frau denn nie
gemeldet?«
    »Das weiß ich nicht.
Vielleicht. Ich hab damals noch nicht mit Naruana
zusammengewohnt.« Sie leckte sich wieder über die Lippe,
aber es hatte aufgehört, zu bluten. »Wir sind erst
zusammengekommen, als das alles vorbei war. Er war obdachlos, und
ich hatte dieses Haus von meiner Mutter geerbt.« Dóra
konnte schwer verbergen, dass sie von dieser Beziehung nicht viel
hielt. »Er arbeitet manchmal unten am Hafen und bringt
Seehundfleisch oder Fisch mit.«
    Dieser Mann müsste schon
etwas mehr mitbringen, wenn Dóra ihm ihre Garage vermieten
sollte, aber das sagte wohl vor allem etwas über die
unterschiedlichen Lebensbedingungen aus. »Wie viele Menschen
sind dort insgesamt verschwunden?«
    »Nicht viele. Ich
weiß nur von Usinna und den Ausländern. Wir halten uns
von dem Gebiet fern. Und Touristen kommen nur selten
hierher.«
    »Was ist mit der Tochter
des Jägers, von dem Sie mir erzählt haben? Von diesem
Igimaq?« Obwohl sich Dóra normalerweise nicht gut an
Menschen erinnern konnte, hatte sich jede Gesichtsfalte des Mannes
in ihr Gedächtnis geprägt, seine braunen, fast schwarzen
Augen und seine verkrüppelte Hand.
    »Usinna war Igimaqs
Tochter. Naruana ist sein Sohn.«
    »Aha, ach so. Und was ist
Ihrer Meinung nach die Ursache für das Ganze? Dass die Seelen
der Menschen, die damals dort verhungert sind, den Tod
bringen?«
    »Ja, das glaube ich. Es
ist ein schlechter Ort, aber was genau dort passiert, weiß
ich auch nicht. Vielleicht ziehen die bösen Geister die
Menschen in den Berg hinein oder verwandeln sie in Tiere. So was
gibt es. Vielleicht nicht bei Ihnen, aber hier
schon.«
    »Ich glaube, es muss eine
realistische Erklärung dafür geben.« Dóra
wünschte sich, Matthias könnte die Unterhaltung
verstehen, dann würde er sich wahrscheinlich weniger über
das Telefon aufregen. Er tat ihr leid. An seiner Stelle hätte
sie schon längst aus Wut den Telefonhörer auf die
Sofalehne geknallt. »Wie kommt es, dass Usinna das Gebiet
betreten hat, wenn allen schon als Kindern eingebläut worden
ist, es nicht zu tun? Was wollte sie dort?«
    »Wahrscheinlich hatte sie
das vergessen. Usinna ist als Teenager hier weggezogen, in Nuuk zur
Schule gegangen und dann auf die Uni in Kopenhagen. Sie war sehr
begabt.«
    »War sie nur zu Besuch
hier?«
    »Sie war nicht oft hier,
vielleicht einmal im Jahr. Sie mochte das Dorf und die Leute, aber
alle wussten, dass sie nie hierher zurückziehen würde.
Sie hat Forschungsarbeiten durchgeführt. Ich glaube, sie war
Biologin.«
    Ob Usinnas Forschungen sich um
das berüchtigte Gebiet gedreht hatten? Dóra versuchte,
ihre Fragen vorsichtig zu formulieren, um die Volksmärchen, an
die Oqqapia offenbar glaubte, nicht herabzuwürdigen.
»Hat sie Eisbären oder andere Tiere erforscht? Musste
sie dafür das verbotene Gebiet betreten?«
    Oqqapia schüttelte den
Kopf. »Nein, sie hat hier und in einem anderen Dorf weiter
nördlich Geburten untersucht.«
    »Geburten?« Davon
gab es draußen auf

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