Die Eiserne Festung - 7
begriffen. Tatsächlich bemerkte er gerade verwundert, dass er bislang noch überhaupt nicht begriffen hatte, wie grundlegend anders es damals gewesen war. Bis jetzt. Bis zu diesem Augenblick hier. An jenem Tag hatte Hauwerd das Leuchten in Samyls Augen gesehen und gewusst, dass seine Augen von genau dem gleichen Leuchten erfüllt waren. Er hatte nicht begriffen, wohin jener Tag und jene Geschichten sie beide letztendlich führen würden.
Jetzt wusste er es. Er spürte, dass sich ein bittersüßes Lächeln den Weg zu bahnen suchte, als diese Erkenntnis ihn endlich erfasste.
Eigentlich albern, dachte er. Das war das einzig richtige Wort dafür. Albern, dass zwei Jungs - selbst Samyl konnte damals nicht älter als fünfzehn gewesen sein - derart feierliche Gedanken gehegt haben sollten. Im Weihrauch aus Blütenstaub und Seenduft, im Geruch des Köderbechers, der Farbe und der Politur des Ruderbootes hatten sie erkannt, dass sie beide zum Priester berufen waren. Nach all den Jahren erkannte Hauwerd, dass sie beide sich an jenem Tag ganz der Aufgabe verschrieben hatten, die Gott ihrer Familie vor so vielen Jahrhunderten auferlegt hatte. Dieser goldene Prachttag, das erkannte Hauwerd jetzt, war der eigentliche Beginn ihrer Entscheidung gewesen, sich Gottes Aufgabe zu widmen.
Und nun war es so weit. Die Freude, selbst ganz in dieser Aufgabe aufzugehen, war der entsetzlichen, eisigen Furcht gewichen, der bitteren Erkenntnis, dass sie gescheitert waren. Dem Entsetzen ob des Schicksals, das sie im Namen eben jenes Erzengels erleiden würden, von dem diese beiden Jungs damals eindeutig gewusst hatten, er sei ihr Vorfahr gewesen. Diese Furcht änderte alles. Sie verwandelte Freude in Trauer und Hoffnung in Verzweiflung. Es war nicht Verzweiflung angesichts des Schicksals, das ihren unsterblichen Seelen vorherbestimmt war. Denn keiner von ihnen zweifelte nur einen Augenblick lang daran, was sie erwartete. Es war die Verzweiflung angesichts dieses Scheiterns. Die Heilige Schrift lehrte, Gott verlange vom Menschen nie etwas anderes, als stets sein Bestes zu geben. Und das hatten sie getan. Doch letztendlich war es nicht genug gewesen, und dieses Wissen ließ Tränen in Hauwerds Augen aufsteigen.
Als er nun Samyl in die Augen blickte, sah er dieselbe Entschlossenheit, die in seinem Bruder immer noch brannte, dieselbe Leidenschaft, mit der sie das gemeinsam gesteckte Ziel verfolgten. Er sah auch dieselbe Liebe für den kleinen Bruder, der dem Älteren, ohne zu zögern, so viele Jahre lang gefolgt war und klaglos einen Teil der Bürde gestemmt hatte, die ihre Aufgabe bedeutete. Es hatte Zeiten gegeben, da hatte Hauwerd Samyl für hoffnungslos idealistisch gehalten, und Zeiten, in denen der kleine Bruder einige ihrer gemeinsamen Pläne ... modifiziert hatte, ohne es seinem großen Bruder gegenüber zu erwähnen. Doch niemals war seine eigene Hingabe ins Wanken geraten, und niemals hatte er auch nur einen einzigen, flüchtigen Moment lang an Samyls unerschütterlicher Liebe zu ihm gezweifelt.
Gott sei Dank mussten ihre Eltern das alles nicht mehr miterleben. Lysbet und die Kinder waren - irgendwie - verschwunden. Hauwerd selbst hatte keine Frau und keine Kinder. Von einigen entfernten Verwandten abgesehen, waren die beiden Brüder wieder einmal unter sich - wie damals im Ruderboot beim Angeln. So viel Gnade schenkte Gott ihnen, trotz ihres Scheiterns. Und trotz ihres Scheiterns waren sie immer noch entschlossen. Selbst jetzt noch. So töricht es zweifellos auch war, es war schlichtweg die Wahrheit. Und Hauwerd Wylsynn hätte diese Wahrheit nicht einmal dann aufgegeben, wenn er schon am ersten Tage gewusst hätte, wohin das alles unweigerlich führen musste.
Und Samyl auch nicht.
In diesen Augen, die ihn über den Tisch hinweg anblickten, erkannte Hauwerd die Entschlossenheit, mit der Samyl mit ihm seit Fünftagen stritt. Hauwerd hatte den Streit gewinnen wollen. Gegen diese Entschlossenheit aber war das unmöglich. Er hätte andere Argumente vorbringen können - Argumente, die er schon mehr als einmal vorgebracht hatte. Zum Beispiel: Was auch immer Samyl letztendlich täte, Zhaspahr Clyntahn würde ohnehin nur eine erlogene Geschichte erzählen, die Tatsachen so weit verdrehen, bis sie seinen eigenen Zielen am dienlichsten wären. Oder: letztendlich mochte selbst jemand, der so fest entschlossen und fest im Glauben verwurzelt war wie Samyl, dazu gezwungen werden, nie begangene Sünden zu bekennen und alles zu widerrufen, wofür
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